DIE STIMME ABGEBEN
Märchen mit ihrer zu Symbolen kristallisierten Weisheit standen hoch im Kurs, und Andersens Kleine Meerjungfrau sprach Alexander Zemlinsky aus dem Herzen. Nach kurzer, leidenschaftlicher Beziehung hatte ihn Alma Schindler verlassen, um wenige Monate später Gustav Mahler zu heiraten. Unmittelbar vor der Hochzeit begann Zemlinsky mit einer Sinfonie auf die Nymphe, die für einen Prinzen alles zurücklässt, größte Schmerzen duldet und doch mitansehen muss, wie der Angebetete, dem sie das Leben gerettet hat, eine andere ehelicht. Ihren Traum, menschlich zu werden um seine Liebe zu erlangen, hat sie – böses ahnend – mit ihrer schönen Stimme bezahlt: »Aber wenn Du meine Stimme nimmst,« sagte die kleine Seejungfrau, »was bleibt mir dann übrig?«
TÖNENDER WASSERSPIEGEL
Das Märchen ist durchdrungen von Lautlichem; das Hören erlangt Bedeutung weit über das Sehen hinaus. Es inspirierte Zemlinsky zu einem hochemotionalen, farbenreichen Orchestertriptychon, das die eigene Betroffenheit ahnen lässt. Seelenregungen und Wasserbewegungen – vom dunkel ruhenden Meeresgrund bis zur glitzernd wogenden Oberfläche – verschmelzen zu opulentem Klangzauber.
AB- UND WIEDER AUFGETAUCHT
Mit Unterstützung von Johannes Brahms, der grauen Eminenz des Wiener Fin de Siècle, und Arnold Schönberg als exzentrischem Sparringspartner, der seine parallel in stetem Austausch entstandene Tondichtung Pelleas und Melisande im selben Konzert 1905 zur Uraufführung brachte, stieß Zemlinskys Seejungfrau auf ermutigende Zustimmung. Gleichwohl zog er seine erfolgreiche Tondichtung später zurück und verschuldete selbst die Teilung des Manuskripts. Mit der Wiederentdeckung und Zusammenführung wurden erst knapp 80 Jahre nach der Premiere wieder Aufführungen möglich.