Bernd Frankes neues Klavierkonzert »Genesis«

Der Leipziger Komponist Bernd Franke, geboren 1959, ist dem Gewandhausorchester seit Studienzeiten durch zahlreiche Projekte eng verbunden. Die Zusammenarbeit begann 1984 mit der Uraufführung seiner Drei Orchesterstücke im Rahmen der Gewandhausfesttage durch Kurt Masur und das Gewandhausorchester. Es folgten zahlreiche weitere Uraufführungen mit dem Gewandhausorchester, darunter 1988 seine Chagall-Musik unter Kurt Masur, 1995 sein Tripelkonzert, ebenfalls unter Masur, 2005 CUT (VI-VIII) unter Ricardo Chailly und 2015 sein Violinkonzert MYO mit dem Solisten Sebastian Breuninger unter Michael Sanderling. Im Dezember 2021 ist der in Leipzig lebende, international renommierte Jazz-Pianist Michael Wollny Solist der Uraufführung von Bernd Frankes Klavierkonzert Genesis.

Bernd Franke, in Ihrem neuen Werk Genesis verarbeiten Sie viele Einflüsse.

BF: Der erste Anstoß zu diesem Klavierkonzert mit Michael Wollny als Solisten kam von Steffen Pohle (seit Jahrzehnten hinter den Kulissen des Jazzclubs und der Leipziger Jazztage tätig). Sein Anliegen war es auch, in diesem Werk an den Leipziger Cellisten Julius Klengel zu erinnern. Dann kam natürlich der intensive Austausch mit Michael dazu, seine letzte CD Mondenkind habe ich mir über vierzig Mal angehört. Auch auf seine Idee und Anregung mit dem Buch von Michael Ende, Der Spiegel im Spiegel, habe ich reagiert. Eine weitere für mich sehr wichtige Inspirationsquelle war das Buch Wer wir waren von Roger Willemsen.

So entstand also in einer eigenwilligen und besonderen Melange die zentrale Idee von unterschiedlichen Landschaften als Bild und verschiedenen Spiegeln als Erinnerung. Im Prinzip ist es Michael Wollny, der dann als Solist die Bilder dieser Landschaften spiegelt oder erinnert, die im Laufe des Stücks transformiert und immer individueller, solistischer und kammermusikalischer werden. Begleitet hat mich auch die Arbeit des brasilianischen Fotografen Sebastião Salgado und sein Buch Genesis, wo er sein beeindruckendes Konzept von Renaturierung beschreibt.

Das Stück hat eine besondere Form und ist in vielerlei Hinsicht flexibel. In welchem Sinne gelingt Ihnen das für so einen großen Orchesterapparat?

BF: Es war der Wunsch von Michael Wollny, erst einmal zuhören zu wollen, er wünschte sich ein Angebot, um dann darauf reagieren zu können. Dieses »Angebot« sind die beiden »Landschaften« in dem Stück, und mit den Formteilen »Spiegel« reagiert er darauf. Einerseits gibt es in Genesis festgefügte Abschnitte, die genau ausnotiert sind, aber auch aleatorische Teile, mit der Möglichkeit, freier zu spielen als in klassisch ausnotierter Musik. Außerdem existieren Kadenzformen, die ich als Module bezeichne. Diese Module beinhalten Motive, Skalen, Klänge, welche ich wiederum Splitter nenne. An diese Module kann der Solist andocken, da hat er viele musikalisch-improvisatorische Möglichkeiten für eigene Entwicklungen. Ich habe für dieses Projekt und diesen ungewöhnlichen und herausragenden Solisten, aber auch für das Orchester, besondere Techniken angewendet, um Strenge, Form, Ordnung, Freiheit und Improvisation miteinander kombinieren zu können.

Ihr Stück wird also – ausgehend vom Material – jedes Mal anders klingen?

BF: Für das Modellieren mit dem Orchesterapparat gebrauche ich eine bestimmte Technik, eine Mischform aus Aleatorik und fester Notation, also viel freier als bei einem gewöhnlichen ausnotierten Stück. Daher wird keine einzige Probe oder Aufführung vom Ergebnis her exakt so sein wie die nächste, es wird immer Flächen und Abschnitte geben, die etwas anders klingen, länger oder kürzer dauern.

Gibt es eigentlich »Jazz« in diesem Konzert?

MW: Es gibt viele Klänge, Voicings, die ich auch aus meinem musikalischen Vokabular kenne, und einige Jazz-Zitate. Swing kann man ganz wörtlich begreifen, aber den Begriff auch öffnen. Swing ist auch eine Art individueller Phrasierung, die man im Kollektiv synchronisiert. Auf dieser Ebene hat das Stück einen gewissen Spirit, den ich als Jazzhaltung empfinde: Dinge aus der Verantwortung ans Kollektiv in den Moment der Performance zu geben. Bernd betont, dass er sich nicht auf eine, sondern viele verschiedene Traditionen bezieht, ein Kaleidoskop von Techniken und Klängen benutzt. Das ist etwas, dem ich mich, persönlich und als Jazzmusiker, sehr nahe fühle. Die Grundkonstellation von Genesis hängt dabei natürlich stärker an der klassischen Konzert- als an der Jazztradition. Es gibt aber grundsätzlich Gemeinsamkeiten, die ich gar keiner Musikform explizit zuordnen würde, nämlich das Aufeinanderhören – und Reagieren.

Michael Wollny, Sie spielen als Jazz-Pianist einerseits in Clubs, andererseits konzertieren Sie mit Musikern der Klassik-Szene. Sie lassen auch klassisches Material in Ihre Arbeit einfließen, in Ihren Improvisationen tauchen Anklänge an Skrjabin, Berg und Hindemith auf. Stellt der Umgang mit Bernd Frankes Partitur Sie vor neue Herausforderungen?

MW: Ich bewege mich in verschiedenen Welten. Der Umgang mit Partituren ist für mich normal. Ich habe ja als Kind auch damit angefangen, klassisch zu spielen und viel Kammermusik gemacht. Es gab 2019 auch schon ein Projekt mit dem Komponisten Christian Jost und einem Kammerensemble aus Mitgliedern der Berliner Philharmoniker. Der Unterschied ist, dass ich mein Material normalerweise selber generiere. Wenn ich eine Fremdvorlage nehme, benutze ich diese wie einen Steinbruch. Die spezielle Konstellation, also auch die Art der Synchronisierung mit dem Orchester, ist diesmal schon besonders. Ich kriege Tongruppen, Rhythmen, Motive und eine Dramaturgie zugearbeitet, die ich normalerweise selbst entstehen lasse. Ich probiere nun, die Vorgaben dieses Stückes in den nächsten Monaten so in mich aufzunehmen, dass sie zu meiner eigenen Sprache werden.

Ist es für Sie als Künstler ein Problem, inmitten der ununterbrochen überbordenden Informationsflut und der vielfältigen Einflüsse die eigene Stimme wahrzunehmen?

MW: Musik ist für mich immer beeinflusst vom Interesse am Neuen und Fremden. Dinge, die ich nicht kenne, nehme ich in die Hand, um sie zu begreifen, zu untersuchen, zu kneten. Ich bin Spiegel von dem, was mich trifft, das geht durch mein System durch und wird dabei aus- oder umsortiert. Für mich ist das die Frage nach der eigenen Ästhetik. Je mehr Informationsflut, desto stärker arbeiten die eigenen Filter, und je vielfältiger die Einflüsse, desto dringender die eingehende Beschäftigung mit den Gegenständen. - Das Interview führte Anja Kleinmichel

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