Wie ist das überhaupt mit einem Orchester auf Tournee durch Asien zu reisen?

11.11.2023 · Interview: Johanna Wend | Fotos: Konrad Stöhr · Asientournee NOV 2023

Jürgen Merkert ist seit 1993 Hornist im Gewandhausorchester, hat familiäre Verbindungen nach Taiwan und spricht heute im Interview über das Tourneeleben und die taiwanesische Kultur.

Du bist jetzt seit wenigen Tagen mit dem Gewandhausorchester in Asien. Ihr seid hier zuerst in Taiwan gelandet und das erste Konzert liegt nun hinter dir. Wann warst du denn zum ersten Mal mit dem Orchester in Asien?

Ich war schon einige Male mit dem Orchester in Asien. Zum ersten Mal tatsächlich aber erst 2011. Vorher ist das Orchester zwar bereits mit Riccardo Chailly und Herbert Blomstedt in Asien gewesen, aber es hat für mich nie geklappt mitzukommen. Nicht alle Hornisten können immer auf Tournee mitkommen. Die Besetzung ist abhängig vom Programm. Diese erste Asientournee führte auch nach Taiwan. Und dann war ich ein paar Jahre später mit Herbert Blomstedt ein weiteres Mal auf Asientournee. Ich bin jetzt also mit dem Orchester zum dritten Mal in Asien.

Was ist deine schönste Erinnerung an diese erste Asientournee und die Konzerte in Taiwan 2011?

Das schönste Erlebnis ist, dass ich auf dieser Tournee meine Frau kennengelernt habe, die Taiwanesin ist und auch in Deutschland Horn studiert hat. Sie hat damals für eine Konzertagentur gearbeitet und unsere Asientournee begleitet. Die Konzertagenturen stellen immer ein Backstage-Team, das dafür sorgt, dass alles reibungslos abläuft. Da sind dann immer Personen vor Ort, die für das Orchester zuständig sind und die man ansprechen kann. Meine Frau hat mich damals angesprochen: „Hey, ich spiel auch Horn.“ So sind wir dann in Kontakt gekommen. Das sind also ganz persönliche Erinnerungen an meine ersten Konzerte in Taiwan.

Wie darf man sich das Leben eines Profimusikers auf Tournee vorstellen?

Unser Tourneeplan ist natürlich eng gestrickt und dementsprechend sehr herausfordernd. Auf Europa- und Festivaltourneen, wie kürzlich mit Herbert Blomstedt, sind wir viel unterwegs und oftmals jeden Tag in einer anderen Stadt. Jetzt auf dieser Asientournee haben wir aber das Glück, auch für längere Zeit an einem Ort zu sein und mehrere Konzerte an einem Ort zu spielen. Da hat man ein bisschen mehr Zeit, sich umzustellen. Die Zeitumstellung nach Asien zu verkraften, ist für viele sehr kräftezehrend. Wenn man dann ankommt, ist man ein bisschen gerädert. Das ist natürlich besonders schwierig bei einer Tournee auf der anderen Seite der Welt. Hier in Kaoshiung hatten wir nach der Ankunft auch einen Tag Zeit, um uns zu aklimatisieren und an alles zu gewöhnen. Aber trotzdem bin ich wahrscheinlich grad erst aus dem Jetlag raus, wenn wir abreisen. Allerdings werden all diese Schwierigkeiten durch die vielfachen Eindrücke und Erlebnisse, die eine solche Tournee mit sich bringt, entschädigt.

Ein Tourneetag bringt also viele Verpflichtungen für euch Musikerinnen und Musiker mit sich. Bleibt da zwischendurch überhaupt Zeit, um das Land zu genießen und die Kultur kennenzulernen?

Ehrlich gesagt bleibt nicht arg viel Zeit. Man geht morgens frühstücken und dann fangen die ersten frühzeitig im Hotel mit Üben an, so gegen 10 Uhr, um sich fit zu halten. Ich übe auch täglich anderthalb bis zwei Stunden, weil ich nicht einfach zur Anspielprobe kommen kann ohne vorher geübt zu haben. Natürlich gabs in manchen Hotels schon Beschwerden von anderen Hotelgästen, die sich in ihrer Ruhe gestört gefühlt haben. Die klopfen dann plötzlich an der Zimmertür oder der Concierge ruft an. Aber die Hotels wissen auch, dass sie ein Orchester beherbergen. Nach dem Üben hat man dann bis zur Abfahrt zum Konzertort meistens so fünf bis sechs Stunden Zeit, wo man dann eventuell mit der Metro oder dem Taxi irgendwo hinfahren kann. Auf jeden Fall müssen wir aber immer darauf achten, uns fit zu halten und vor dem Konzert die Ruhe zu bewahren. Ich kann an Konzerttagen nicht sehr anstrengende Sachen machen oder gar auf den letzten Drücker zur Anspielprobe kommen. Man muss wirklich gucken, dass man das alles sehr gut koordiniert auf einer Reise. Die Qualität des Konzerts hat immer oberste Priorität.

Wie unterscheidet sich das taiwanesische Publikum vom deutschen?

Da gibt es auf jeden Fall große Unterschiede. Das erleben wir nicht nur in Asien, sondern allgemein, wenn wir zu Gast sind in anderen Ländern. Das Publikum reagiert überall anders, applaudiert anders, ist unterschiedlich emotional. Gerade das Publikum in Taiwan ist sehr aufgeschlossen und reagiert sehr enthusiastisch und freudig. In Japan hingegen ist das Publikum sehr diszipliniert. Da wird eine gewisse Zeit lang geklatscht und dann hört das ganz plötzlich auf. Aber auch in Taiwan ist das Publikum sehr still und sehr diszipliniert. Da geht nicht plötzlich einer ans Handy und telefoniert, wie man das vielleicht schon in anderen Ländern erlebt hat. Die Menschen hier in Taiwan kennen das Gewandhausorchester selbstverständlich bereits. Die großen Top-Ten-Orchester haben in Asien einen gewissen Bekanntheitsgrad. Tourneen finden aufgrund dieses Interesses regelmäßig statt. Die Konzerte sind sehr gut besucht und die Menschen freuen sich über diese anderen Impressionen und Emotionen, die europäische Musik nach Asien bringt.

Welche Rolle spielt Musik ganz allgemein in der taiwanesischen Kultur?

Musik spielt natürlich auch in Taiwan eine große Rolle. Die traditionelle, asiatische Musik, die hier praktiziert wird, kennt ganz andere Instrumente und Klangfarben. Das ist etwas komplett Gegensätzliches zur europäischen Musik aus dem sinfonischen Bereich, die wir mitbringen. Mein Eindruck ist, dass das Publikum deshalb extrem interessiert daran ist, europäische Musik zu hören. Für die Menschen in Asien ist es spannend, die europäische Musiktradition nun auch kennenzulernen. Ich glaube, die Gegensätze sind es vor allem, die für die Menschen hier am interessantesten sind.

Worauf freust du dich besonders auf diesem Tourneestop in Taiwan?

Auf die Menschen und deren Mentalität. Taiwan ist ein sehr offenes Land. Die Menschen sind unglaublich hilfsbereit und aufgeschlossen. Wenn man ratlos rumsteht, dann wird man häufig angesprochen und gefragt, ob man Hilfe braucht. Ganz besonders freu ich mich natürlich außerdem auf das Essen, z.B. auf asiatische Teigtaschen mit unterschiedlichen Füllungen. In Taiwan gibt es Gewürze und Gerüche, die wir Europäer gar nicht kennen. Die Krux ist nur: wenn man einmal weiß, wie es wirklich richtig gut schmeckt, ist man etwas verwöhnt, weil da kommt das asiatische Essen bei uns, wo alles ein bisschen europäischer schmeckt, meistens nicht ran. Auf den Straßenmärkten kann man all diese kulinarischen Spezialitäten entdecken. Man muss aber am besten mit Einheimischen auf diese Märkte gehen, da man nicht an jedem Stand was essen kann. Man muss wissen, wo man hingeht. Auf diesen Straßenmärkten gibt es zahlreiche Gerüche, die unsere Nasen gar nicht gewohnt sind. Zum Beispiel gibt es in Taiwan einen Tofu, den nennt man hier „Stinktofu“, der hat einen ganz eigenartigem Ammoniakgeruch. Wenn man dann an so einem Stand vorbeiläuft, da haut es einen eigentlich direkt um. Wenn der aber dann verarbeitet ist (frittiert oder in einer Suppe), dann schmeckt der unfassbar lecker.

Für einen konzertfreien Tag empfiehlst du deinen Kolleginnen und Kollegen also solch einen Marktbesuch. Und was noch? Was sollten sie beispielsweise in Taipeh auf keinen Fall verpassen?

Die meisten informieren sich tatsächlich vorher schon über die Reise. Viele Kollegen sitzen im Flieger mit Reiseführer in der Hand und suchen sich raus, was sie sich anschauen wollen. Von unserem Hotel aus blickt man direkt auf den ehemals höchsten Wolkenkratzer „101“. Den 360-Grad-Blick, den man von der Aussichtsplattform des „101“ hat, sollte man sich auf keinen Fall entgehen lassen. Das ist schon ein Happening, da oben zu sein. Ansonsten empfehle ich das Nationale Museum in Taipeh, wo noch viele Artefakte aus der alten chinesischen Kultur sind. In der Revolution, als sich Taiwan von China abgespalten hat, sind sehr viele Kulturgüter nach Taiwan gerettet worden. Die buddhistischen Tempel sollte man auch gesehen haben. Da sieht man, wie viele hunderte von Jahren Geschichte asiatischer Kultur dort versammelt sind, und bei einer Tempel-Zeremonie kann man erleben, wie die buddhistische Religion in Taiwan verankert ist.