IM GEWANDHAUS URAUFGEFÜHRT
Walter Braunfels stand am Höhepunkt seiner Karriere, als das Gewandhausorchester sein Orgelkonzert am 23. Februar 1928 zur Uraufführung brachte. Der erfolgreiche Opernkomponist eröffnet das Werk mit einer Toccata, lässt einen marianischen Choral folgen und schiebt ein solistisches Interludium der Orgel ein, bevor das Finale als Fuge auf die krönende zweite Strophe des Chorals Wachet auf, ruft uns die Stimme zusteuert (»Zion hört die Wächter singen...«). Dass ich einen Knabenchor verwende, mag auf den ersten Blick befremden, schrieb Braunfels seinem Freund Siegmund von Hausegger. Es geschah vor allem, um dem 2. Satz, dem Mittelpunkt des Werks, der als großes Choralvorspiel aufgebaut ist, durch den von den Knaben am Schluss intonierten Choral die schönste Krönung zu geben, und dann konnte ich es mir nicht versagen, sie am Schluss (3. Satz) der fantastisch aufgetürmten Doppelfuge, die das Finale bildet, als Träger eines weiteren Chorals mitsprechen zu lassen. Gewandhauskapellmeister Wilhelm Furtwängler, der kurz zuvor seine Kündigung zum Spielzeitende eingereicht hatte, leitete die Premiere. Es sang der verstärkte Thomanerchor, an der Orgel saß Thomas- und Gewandhausorganist Günther Ramin, dem das Werk gewidmet ist.
ERGREIFEND
Bruckner und Braunfels eint, dass die künstliche Trennung von »geistlich« und »weltlich« im musikalischen Kunstwerk aufgehoben ist. Als Anton Bruckner ahnte, dass er das Finale seiner 9. Sinfonie nicht mehr würde vollenden können, schlug er sein Te Deum als Schlusssatz vor. Zum Widmungsträger soll er keinen Geringeren als den »lieben Gott« persönlich erkoren haben. Das Adagio, was drinnen vorkommt, soll das schönste sein, das ich geschrieben habe. Mich ergreift es immer, wenn ich es spiele, bekannte der Komponist und notierte den warmtönenden Wagner-Tuben in die Stimmen: Abschied vom Leben.