Fokus: Igor Strawinsky zum 50. Todestag
Bryce Dessner — Mari für Orchester
Bohuslav Martinů — Konzert für zwei Klaviere und Orchester H 292
Pause
Igor Strawinsky — Le sacre du printemps
Konzerteinführung mit Ann-Katrin Zimmermann um 19.15 Uhr - Schumann-Eck
Price: 73/55/45/34/22/6 EUR
Flex Price: 80/61/50/37/24/7 EUR
Subscriptions: Serie IV, Horizont 21 - Musik des 20. & 21. Jahrhunderts, VARIO, VIS-A-VIS
Veranstalter: Gewandhaus zu Leipzig
SOLO FÜR DUO
Innerhalb kurzer Zeit entstand Anfang 1943 im amerikanischen Exil Bohuslav Martinůs virtuoses Konzert für zwei Klaviere, inspiriert von Bartoks Sonate für zwei Klaviere, deren Londoner Premiere Martinů ebenso erlebt hatte, wie die erste Aufführung der Orchesterfassung in der Carnegie Hall im Januar 1943. Das fabelhafte Klavierduo Pierre Luboschutz und Genia Nemenoff, das Martinů durch seine Lehrtätigkeit in Tanglewood kennengelernt hatte, brachte sein Konzert zur Uraufführung. Ähnlich eng ist die Verbindung zwischen Bryce Dessner, Semyon Bychkov und den Schwestern Katia und Marielle Labèque, die jüngst Dessners Konzert für zwei Klaviere auf CD vorlegten. Der 1976 in Cincinnati geborene, heute in Paris lebende Komponist wuchs mit klassischer Musik und Jazz auf und gründete die Rockband ≫The National≪, deren Gitarrist er ist. Dessner studierte an der Yale University und arbeitete mit Kollegen wie Steve Reich und Philip Glass zusammen.
OBLIGATER SKANDAL
Die Harmonik des Sacre ist zum Zerbersten mit ≫Störtönen≪ überfrachtet – kein Klang, der nicht durch Dissonanzen geschärft wäre. Die Orchestration fordert extremen Einsatz aller Mittel der Klangerzeugung. Die Melodik wirkt verzerrt, der Rhythmus ist aggressiv und obsessiv, sein kantiges Profil entsteht durch schroffe Betonungen, durch zorniges Stampfen. Brutal dröhnt die Motorik der Bewegungsmuster. Die Lautstarke treibt Strawinsky an die Grenze des Erträglichen – und darüber hinaus. Die verstörenden Klange verbinden sich mit einem schockierenden Sujet: Der lebensspendende Frühling wird mit dem Ritualmord an einem Mädchen zelebriert. Tanz – Ausdruck von Lebensfreude – schlägt um in todbringenden Exzess.
HITZIG IN DEN SOMMER
Im Theatre des Champs-Élysées herrschte am 29. Mai 1913 nach wenigen Sacre-Premierentakten Ausnahmezustand. 2000 Leute aus besten gesellschaftlichen Kreisen wurden handgreiflich und stürzten sich in den Tumult, bis die Polizei eingriff. Skandalös ist diese Musik, weil sie dem Ideal angenehmer, wohltuender Kunst mit aufwiegelnder Grausamkeit spottet. Bei vielen Werken muss man mühsam erklären, was zur Entstehungszeit ungewohnt war. An Strawinskys Le sacre du printemps gewöhnt man sich nicht. Seine vernichtende Strahlkraft kennt keine Halbwertszeit. Strawinsky vollendete die Partitur 1912 in einer Schweizer Pension: Heute, Sonntag, unter unerträglichen Zahnschmerzen, habe ich die Musik des Sacre beendet. Zahnärzte weisen jede Mitschuld an den musikalischen Exzessen der Moderne von sich.