Editorial

Volle fünf Monate verbringt Felix Mendelssohn Bartholdy in Rom, erlebt den Tod von Pius VIII. und das Konklave zur Wahl des Nachfolgers mit. »Wir wünschen alle«, schreibt er seiner Schwester Rebecka, »daß der Cisterziensercardinal Cappellari Papst werde ...« Überraschend wird der es tatsächlich, steigt als Gregor XVI. auf den Papstthron. Als die Kardinäle im Petersdom ihrem neuen Oberhaupt die Ehre erweisen, ist Mendelssohn dabei. Es ist der 3. Februar 1831, sein 22. Geburtstag. Drei Monate später wendet er sich aus Neapel an einen preußischen Diplomaten in Rom: »Meine Bitte ... betrifft einen alten Freund von mir ... Er ist nämlich Protestant und ist drauf und dran, eine Katholikinn zu heirathen; die einzige Schwierigkeit ist nur, daß man ihm sagt, es sey ganz unmöglich unter dem jetzigen Papste den nöthigen Dispens ... zu erhalten.« Ist Mendelssohn immer noch froh, dass sein Wunsch in Erfüllung gegangen ist? Der Papst taucht in keinem weiteren seiner Briefe mehr auf.

Vielleicht hätte es Mendelssohn dennoch gefreut zu wissen, dass seine Kantate »Lobgesang« einst im Vatikan einem Papst vorgespielt würde. Und zwar von keiner »päpstlichen Capelle«, wie er sie seinerzeit in Rom erlebte: »sie sangen nicht besonders, die Compositionen taugten nichts, andächtig waren die Leute auch nicht ...« Sondern von dem Orchester, mit dem er seinerzeit den »Lobgesang« zur Uraufführung in Leipzig brachte. Das Gewandhausorchester, heute stolzer denn je auf die eigene protestantisch-bürgerliche Herkunft, hat sich mit der Aufführung vom 20. April 2012 ganz gewiss weder verleugnet noch verbogen. Wenn dieser Gewissheit auch viele »Vielleicht« gegenüberstehen. Einigen von ihnen geht unser Autor Michael Sellger in seinem Bericht aus Rom ab Seite 8 nach.

Vier weitere Beiträge zum Thema Konzertreisen folgen dem Rombericht, dazu ab Seite 34 ein Interview mit Franzpeter Messmer, der sich mit der Kulturgeschichte von Musikerreisen auseinandergesetzt hat. Zu dieser Kulturgeschichte zählt auch die Frage, mit welcher Ausstattung man einst reiste. Matthias Wießners Recherche zu einer Kofferbestellung für das Gewandhausorchester, deren Ergebnisse er auf den Seiten 26 bis 28 schildert, erfuhr nach ihrem Abschluss eine tragikomische Ergänzung. Felix Ludwig (in seinem Cartoon auf Seite 65 geht es auch um Musikerreisen) war seit anderthalb Jahren Gewandhaus-Kontrabassist, als die bestellten Instrumentenkoffer aus Offenbach eintrafen. Er erinnert sich: Ausgerechnet die zehn Basskoffer waren um Millimeter zu klein geraten, so dass die Kontrabässe nicht hineinpassten. Wie die Sache weiter- und ausging - wir werden dem nachgehen.

Von New York aus schrieb Leo Schwarz am 9. Februar 1939 an einen befreundeten Gewandhausmusiker: »Ich kann Dir nur sagen, dass ich wieder frei atmen kann, und das tut wohl.« Hinter ihm lagen Jahre voll von Demütigungen und Schikanen, zuletzt einige Wochen im Konzentrationslager Buchenwald. 1934 war der Konzertmeister des Gewandhausorchesters aufgrund seiner jüdischen Herkunft entlassen worden. Die 82 NSDAP-Genossen des Orchesters hatten dem billigend oder zumindest tatenlos zugesehen. Schwarz' 50. Todestag ist Anlass nicht allein für Bettina Weils Beitrag ab Seite 46 »Vier Musiker, vier Schicksale, vier Todestage«, sondern vor allem für eine überfällige Ehrung: Am 4. Juni dieses Jahres wird dem Vorraum des Mendelssohn-Saales im Gewandhaus feierlich der Name »Leo-Schwarz-Foyer« verliehen. Vielleicht - nein, sicher hätte es Mendelssohn gefreut, auf diese Weise mit dem Gründer des allerersten »Mendelssohn-Trios« verbunden zu sein.

Claudius Böhm