Richard Strauss in Leipzig
Über vierzig Mal war der dirigierende Komponist in Leipzig. Claudius Böhm hat seine Besuche erkundet und dabei festgestellt: Das Kapitel »Strauss in Leipzig« fand weitgehend ohne das Gewandhaus statt.
1926 geschieht Einzigartiges, in Leipzig noch nie Dagewesenes: Ein öffentlicher Platz wird nach einem zeitgenössischen Komponisten benannt und darauf ein zwar schlichter, doch denkmalähnlicher Stein gesetzt. Zu Lebzeiten derart geehrt zu werden, das ist noch keinem der mit Leipzig verbundenen Musiker widerfahren. Jener Zeitgenosse muss also extrem Herausragendes für Leipzig getan oder mit der Stadt in einer überaus besonderen Beziehung gestanden haben. – Trifft das auf Richard Strauss wirklich zu?
1883 kommt Strauss das erste Mal nach Leipzig – und findet die Stadt »dreckig und ziemlich uninteressant«. Der 19-Jährige wohnt am Johannisplatz im Hotel »Stadt Dresden«. Was wie ein kleiner Spaß anmutet, schließlich wird er von Leipzig aus nach Dresden weiterreisen, der zweiten Station auf seinem Weg von München nach Berlin.
In Leipzig macht der junge Bajuware, was im 18. Jahrhundert gang und gäbe war: Vorstellungsbesuche bei den musikalischen Autoritäten der Stadt. Er sucht Lehrer des Konservatoriums auf, Gewandhaus-Konzertmeister Henri Petri, Gewandhaus-Musikdirektor Carl Reinecke, Thomaskantor Wilhelm Rust. Petri sei »sehr nett« und Reinecke »liebenswürdig« gewesen, berichtet Strauss den Eltern nach München. Letzterem spielt er seine Konzert-Ouvertüre c-Moll vor, was Reinecke als eine Einsendung ans Gewandhaus betrachtet und das Manuskript gleich einbehält.
Zu einer Aufführung dieser Ouvertüre im Gewandhaus kommt es jedoch nicht. Es ist die Gewandhauskonkurrenz, die Konzertgesellschaft »Euterpe«, in der erstmals in Leipzig Musik von Richard Strauss erklingt. Genau zwei Jahre nach dessen Antrittsbesuch, am 9. Dezember 1885, wird im Saal des Alten Gewandhauses seine Bläserserenade Es-Dur op. 7 gespielt. Der Komponist ist wohl nicht anwesend, hat in Meiningen mit seiner Kapellmeisterstelle genug zu tun. Das Euterpe-Orchester jedoch kennt er von seinem Leipzig-Besuch: »Blech und Bläser überhaupt sind«, urteilte er damals, »so spitzig und glasscherbenartig, daß im höchsten Forte alle Geigenpassagen recht gut herauskommen«.
Die Kritik geht nicht freundlich mit der Novität um: »Einen nachhaltigen Eindruck« habe die Serenade nicht hinterlassen; »ausser guter Berechnung der Klangeffecte« sei ihr »Nichts nachzurühmen, was über eine solide Mittelmässigkeit« hinausreiche. Kaum besser ergeht es Strauss zwei Jahre darauf mit seiner f-Moll-Sinfonie. Mit ihr gibt er am 13. Oktober 1887 sein Dirigentendebüt in Leipzig und seinen ersten Auftritt im Gewandhaus. Hart fällt das Urteil der Musikkritik aus: Diese Sinfonie sei lediglich »eine Mendelssohn-Gade’sche Nachgeburt«, »eine Blumenlese aus den Werken dieser und anderer Componisten«, eine »Halbschürigkeit«, die »kaum über das Maß von Conservatoristenversuchen« hinausgehe.
Eine glückliche Rückkehr der Sinfonie an einen ihrer Entstehungsorte ist das wahrlich nicht – Strauss hatte das Werk am 6. Dezember 1883 in Leipzig zu Ende komponiert. Ob er bei der Aufführung daran gedacht hat? Wohl eher nicht, Leipzig ist für ihn gedanklich offenbar weit weg: Dass dort in der Zwischenzeit ein neues Konzerthaus eröffnet worden ist, scheint nicht zu ihm gedrungen zu sein. Am 11. September 1887 teilte er seinem Mentor Hans von Bülow spöttelnd mit: »Am 13. Oktober dirigiere ich im [!] Leipziger Gewand-Ruine meine f-Moll-Sinfonie ...« In anderem Tonfall steht dann allerdings, was er Bülow am 29. Oktober berichtet: »Mir gings unterdessen recht gut; ich habe vor 14 Tagen in Leipzig mit meiner Sinfonie einen recht schönen Erfolg erzielt, der nur durch die Gehässigkeit einiger Skribenten etwas getrübt wurde. Doch das tut nichts! Publikum u. besonders Orchester waren sehr nett, mit dem letzteren war ich sehr zufrieden, es bewältigte die Sinfonie mit zwei kleinen Proben ganz famos u. zeigte sich als ein sehr intelligenter Körper; die Holzbläser waren zwar nicht ganz nach meinem Geschmack, Streichquartett dagegen ausgezeichnet. Der neue Konzertsaal erregte mein höchstes Entzücken.«
Mit diesem Dreisprung aus Antrittsbesuch, Komponisten- und Dirigentendebüt beginnt das Kapitel »Strauss in Leipzig«, begleitet vom Nörgeln der Musikkritik. Dabei könnte sich Strauss trösten: Genau 30 Jahre vor seinem ersten Leipzig-Besuch war Johannes Brahms das erste Mal in die Pleißestadt gekommen. Und wie schwer er es in der Folgezeit hatte, hier Anerkennung zu finden, wird Strauss spätestens vom Brahms-Freund Bülow erfahren haben. Doch Strauss schlägt einen anderen Weg als Brahms ein: Nicht über das Gewandhaus erringt er sich seinen festen Platz in Leipzig, sondern über die Konkurrenzunternehmen. Dabei nimmt er über Jahre hinweg in Kauf, mit schlechteren Orchestern als dem des Gewandhauses arbeiten zu müssen. Als wolle er es allen beweisen: Es gibt eine Musikstadt Leipzig auch ohne das Gewandhaus.
Ein Vorteil auf diesem gewiss mühsamen Weg ist: Strauss kann die Leipziger Erstaufführungen seiner Orchesterwerke großenteils selbst leiten und damit Maßstäbe setzen. Den Anfang macht er mit der Tondichtung »Tod und Verklärung«, die er in einem Lisztvereins-Konzert am 13. März 1892 in der Alberthalle dirigiert. Den Eltern berichtet er, er habe vier Proben abgehalten, und weiter: »Das Konzert wird besonders interessant, als diesmal das Gewandhaus seinen Mitgliedern endgültig verboten hat, in den Lisztvereins-Konzerten mitzuwirken. Große Aufregung und Spannung in Leipzig, Preßfehden, Angriffe gegen das Gewandhaus. Es gilt also die ganze Kraft einzusetzen, um zu zeigen, daß auch die schwierigsten Stücke ohne die Gewandhäusler gehen. Die auf achtzig Mann verstärkte Kapelle des 134. Regiments ist ausgezeichnet, kolossal opferwillig, riesig begeistert von meiner Dirigentenbefähigung, hat vortreffliche Mitglieder, und das Konzert wird sicher ausgezeichnet gehen ... Solche Kampfsachen wie das morgige Konzert sind mein Fall!«
Sechs Tage später schreibt er der »liebsten Mama«: »Mittwoch war ich wieder in Leipzig und habe in einem Wohltätigkeits-Konzert für die Arbeitslosen ›Tod und Verklärung‹ mit großem Erfolg wiederholt. Der ganze Leipziger Erfolg war sensationell ... Junge Enthusiasten haben mich zur Bahn begleitet und Hoch geschrien, als ich abfuhr, einer hat mir sogar die Hand geküßt. Kurz, die Berühmtheit schreitet wacker vorwärts.«
Weitere Erstaufführungen mit dem Komponisten selbst folgen: »Macbeth« – für den Kritiker des Musikalischen Wochenblatts »eines der klanghässlichsten Erzeugnisse, die wir kennen« –, Violinkonzert, »Aus Italien«, »Enoch Arden« und »Also sprach Zarathustra«. Nur »Till Eulenspiegel« kommt auf anderem Weg nach Leipzig: Im Februar 1896 gastiert die Berliner Hofkapelle in der Alberthalle und spielt unter Leitung Felix Weingartners unter anderem diese Tondichtung. Die Neue Zeitschrift für Musik findet, »bei der Jagd nach blendenden Witzen, die sich denn auch in der Folge einander auf die Versen [!] treten, entsteht ein krauser musikalischer Wirrwarr ... Daß alles mit raffinirter Geschicklichkeit orchestrirt ist, daß sich mehrere frappirende Klangcombinationen finden, die bis jetzt noch Keiner gewagt hatte, muß indeß Jeder zugeben ...«
1899 steht Strauss zum zweiten Mal im Neuen Gewandhaus am Dirigentenpult: Die Universitäts-Sängerschaft zu St. Pauli – kurz die Pauliner genannt – gibt am 20. Februar ihr alljährliches Festkonzert; Strauss steuert dazu mit dem Gewandhausorchester seinen »Don Juan« bei. Der jedoch ist diesmal keine Leipziger Premiere. Genau vier Wochen zuvor hat Arthur Nikisch das Stück im Gewandhaus-Abonnementkonzert aufgeführt. Ist das der Grund für eine Programmänderung? Ursprünglich wollte Strauss im Pauliner-Konzert »Tod und Verklärung« dirigieren. Doch kurzfristig wechselt er das Stück. Weil er dadurch Probenzeit sparen kann? Oder will er den Leipzigern zeigen, wie »Don Juan« richtig klingen müsse? Dabei kann er nur vom Hörensagen erfahren haben, wie es mit Nikisch gelaufen ist.
Den neun Jahre älteren Kollegen hatte Strauss bereits bei seinem ersten Leipzig-Besuch 1883 erlebt: Im Neuen Theater leitete der damals 28-Jährige eine Aufführung von Anton Rubinsteins Oper »Der Dämon«. Drei Jahre später, bei seinem zweiten Leipzig-Aufenthalt im Januar 1887, ging Strauss ein zweites Mal ins Leipziger Stadttheater. Begeistert schrieb er an Bülow: »Abends sah ich in Leipzig eine ganz pompöse Vorstellung des ›Rheingold‹ unter Nikisch, der mir ein famoser Dirigent zu sein scheint. Orchesterklang famos, äußerste Präzision, sehr tüchtige Sänger, ich hätte dem Leipziger Stadttheater diese Aufführung nicht zugetraut.« Doch die positive Meinung zu Nikisch hielt nicht vor. Am 28. Januar 1900 schreibt Strauss aus Berlin an den »lieben Papa«: »Heute mittag hat die Primadonna Nikisch in der Philharmonischen Generalprobe mein ›Tod und Verklärung‹ in so frecher Weise vermöbelt, daß ich mich wunderte, daß das Stück nicht durchfiel! Aber nein! Tosender Beifall! Das Werk scheint nicht umzubringen zu sein. Er hat eigentlich nur die Instrumentation dirigiert, alle Klangeffekte in der törichsten Weise breitgetreten, wo tranquillo steht, spielt er glatt agitato, und umgekehrt – kurz das ekelhafteste Pultvirtuosentum, das seiner lieben Eitelkeit wegen keinen Komponistenwillen mehr respektiert: aber trotzdem rasender Erfolg!«
Die nächste Leipziger Erstaufführung nimmt Strauss wieder selbst in die Hand: Im Januar 1901 liegt »Ein Heldenleben« auf den Pulten des Winderstein-Orchesters. Vier Jahre darauf spielt er mit demselben Orchester im »grossen Saale des Zoologischen Gartens« erneut »Heldenleben« – und abermals ein Werk, das wenige Wochen zuvor von Nikisch im Gewandhaus aufgeführt worden ist: die »Sinfonia domestica«. »Die Wogen der Begeisterung gingen hoch bei dem äusserst zahlreich erschienenen Publikum, der dirigierende Komponist und seine Gattin wurden stürmisch gefeiert«, berichtet der Rezensent des Musikalischen Wochenblatts und fährt fort: »Mich selbst hat die ›domestica‹ diesmal weniger als bei ihrer ersten hiesigen Aufführung unter Nikisch angeregt ... es fehlten zu oft jene feinen satten und warmen Mischtöne und Übergangstinten, in denen Nikisch mit seinen Gewandhäuslern so Grosses leistet.«
Passend zum Jubiläum des 25. Leipzig-Besuchs von Richard Strauss gibt es ein Jahr darauf zwei Uraufführungen: Am 5. März 1906 singt Paul Knüpfer im Zoo-Saal das Orchesterlied »Der Einsame« op. 51/2 und das Klavierlied »Im Spätboot« op. 56/3. Der Komponist dirigiert das Winderstein-Orchester und begleitet den Sänger selbst am Klavier.
Im selben Jahr zieht eine revolutionäre Neuerung ins Gewandhaus ein: Der Gewandhauskapellmeister muss nicht mehr alle Konzerte selbst dirigieren; zwei pro Saison darf er Gastdirigenten übertragen, um deren Engagement er sich allerdings selbst zu kümmern hat. Und Nikisch kümmert sich sofort: Der erste Gastdirigent, der an seiner Statt am 10. Januar 1907 das Gewandhauspodium betritt, ist – Richard Strauss. Vertretungen für den Gewandhauschefdirigenten gab es zwar in Krankheitsfällen früher auch schon, Strauss aber geht als der erste reguläre Gastdirigent in die Gewandhausgeschichte ein. Zugleich ist dieses denkwürdige Konzert das erste vollständige, das Strauss im Gewandhaus dirigiert (1887 hatte nur die Leitung der eigenen Sinfonie in seiner Hand gelegen).
Die Kritik nörgelt auch diesmal. Schon hinter das Programm könne man ein großes Fragezeichen setzen: »Mozart–Brahms–Strauss!« Das Schlimmste aber sei, dass man sich »mit einer einzigen Probe begnügt« habe. Die Folge seien unter anderem holprige »Tempo- und Taktrückungen«, »starke Intonationstrübungen« und »mancherlei andere spieltechnische Versehen« gewesen. »Das Publikum machte gute Miene zu dem ziemlich bösen Spiel« und ehrte den Gast durch »lang anhaltenden, rauschenden Beifall«.
Jetzt, da der Komponist in Leipzig arriviert, im Gewandhaus endgültig angekommen ist, dünnt die Folge seiner Leipzig-Besuche mehr und mehr aus. Strauss scheint das Interesse an der »Kampfsache« verloren zu haben. 1915 nimmt seine Beziehung zu Leipzig eine Wendung hin zur Oper: Er dirigiert erstmals im Neuen Theater – zweimal seine Oper »Elektra«, einmal »Salome«. Im Theater spielt das Gewandhausorchester; Strauss steht somit nach 1887, 1899 und 1907 drei weitere Male vor Leipzigs städtischem Orchester. Um schon vorauszugreifen: Am Ende werden es fünf Konzerte und acht Opern, 13 Aufführungen insgesamt sein, in denen das Gewandhausorchester unter der Leitung des Komponisten gespielt haben wird. Dagegen stehen 15 Leipziger Konzerte mit anderen Orchestern, allein acht davon mit dem Winderstein-Orchester.
Doch noch ist das Ende nicht erreicht: 1914 schon wurde in München eine Straße nach Richard Strauss benannt. Zehn Jahre später, zum 60. Geburtstag des Tonsetzers, begnügt man sich nicht mehr mit Straßen: In Dresden und in Bremen verleiht man Plätzen den Namen des Komponisten. Da ist Leipzig mit seiner nachklappernden Ehrung spät dran: Erst 1926 findet im Rahmen einer zehntägigen Richard-Strauss-Woche die Einweihung eines »Richard-Strauß-Platzes« statt. Der Geehrte genießt die Junitage in Leipzig, macht einen Ausflug zum Dom in Naumburg, dirigiert dreimal im Theater, frühstückt beim Oberbürgermeister Karl Rothe und schreibt am 10. Juni, bevor er ins Gewandhaus dirigieren geht, an Gattin Pauline: »Ein schöner Platz im Park nach mir benannt mit Gedenkstein.« Tags darauf feiert Strauss in Leipzig seinen 62. Geburtstag.
Ein schöner Schluss für das Kapitel »Strauss in Leipzig« wäre das gewesen. Doch es kommt anders. Am 8. Juli 1932 schreibt Gewandhauskapellmeister Bruno Walter aus seinem Urlaub in der Schweiz an den »hochverehrten Herrn Doktor«: »Ich habe die Schlagobers-Suite durchstudiert und mich an dem strahlend heiteren, anmutigen, geistvollen Werk erfreut.« Da das Stück jedoch 41 Minuten dauere, Strauss ihm aber 30 Minuten avisiert habe, regt Walter zwei Kürzungen inklusive Umstellungen der Abfolge an.
Die Antwort ist nicht erhalten. Doch aus dem Werk, wie es am 20. Oktober 1932 im Gewandhaus zur Uraufführung kommt, ist nicht ersichtlich, dass Strauss auch nur im Entferntesten auf die Vorschläge Walters eingegangen wäre. Zudem bleibt Strauss dem Konzert fern. Warum aber überlässt er es ausgerechnet diesem von ihm wenig gemochten Kollegen, die achtsätzige Orchestersuite aus seinem Ballett »Schlagobers« aus der Taufe zu heben? Das Rätsel bleibt ungelöst.
Fünf Monate später kommt Strauss wieder in die Stadt, trifft auf der Durchreise von München nach Berlin am 15. März 1933 gegen 17 Uhr ein, bezieht Quartier im besten Haus am Platz, dem Hotel Astoria, trifft sich am 16. vormittags mit Anton Kippenberg – der »Insel«-Verleger ist Mitglied der Gewandhaus-Konzertdirektion – und reist 14 Uhr wieder ab. Zur gleichen Zeit, am 15. März gegen 17 Uhr, ruft der Vorsitzende der Gewandhaus-Konzertdirektion Max Brockhaus bei Bruno Walter im Hotel an, um ihm mitzuteilen, dass dessen Konzertauftritt am nächsten Tag »aus Gründen der öffentlichen Sicherheit« verboten worden sei. Eine dramatische Nacht folgt mit aufgeregten Konferenzen, hektischen Telefonaten, nervösem Warten. Doch alle Bemühungen, das Konzertverbot aufheben zu lassen, scheitern. Am Nachmittag des 16. März verlässt Bruno Walter Leipzig für immer, fährt mit dem Zug nach Berlin – womöglich gar mit demselben, den auch Richard Strauss benutzt? In Berlin ergeht es Walter nicht besser: Er darf das für den 20. März mit dem Berliner Philharmonischen Orchester geplante Konzert nicht dirigieren. Wer übernimmt es an seiner Statt? Richard Strauss – »der Komponist des ›Heldenleben‹«, wie Walter in seiner Autobiographie bitter-ironisch bemerkt.
Strauss’ Verhalten in Berlin ist lange schon bekannt, nicht aber die Koinzidenz von Leipziger Bruno-Walter-Vertreibung und Strauss-Aufenthalt am gleichen Ort. Die Entscheidung in Berlin war eine, die Strauss auch mit dem Wissen um die Ereignisse in Leipzig traf.
Ein Nachspiel folgt: »Der Komponist des ›Heldenleben‹« schreibt einen Monat später an Max Brockhaus, er empfehle seinen Freund Eugen Papst als Nachfolger Bruno Walters in Leipzig. Als die Konzertdirektion dem nicht folgt, sondern Hermann Abendroth wählt, wird das ausgerechnet bekannt, als Strauss zur Vorfeier seines 70. Geburtstags im Gewandhaus zu Gast ist. »Ich kümmere mich um nichts mehr. Sie nehmen die Reichsmusikkammer immer in Anspruch gegen die Partei, wenn aber die Reichsmusikkammer etwas wünscht, dann wird es nicht berücksichtigt«, blafft er Brockhaus an. Doch lange verdirbt das dem Präsidenten der Reichsmusikkammer wohl nicht die Stimmung: Zwei Tage nach dem Geburtstagskonzert im Gewandhaus dirigiert der 69-Jährige aus einer Laune heraus ungeprobt »Arabella« an Leipzigs Stadttheater. Zum Schluss also eine Oper mit Happyend? – Strauss war nie wieder in Leipzig.