Interview mit Bischof Heiner Koch
Ich bringe nicht Gott nach Sachsen
Herr Bischof, Ihr Wahlspruch lautet »Freut euch allezeit, der Herr ist nahe«. Zur gleichen Zeit, als Paulus dieses Wort an die Philipper schrieb, beschäftigte sich auch Seneca mit der Freude und kam zu dem Schluss: »Wahre Freude ist eine ernste Sache«. Sehen Sie eine Verbindung zwischen den beiden Worten?
Senecas »Res severa est verum gaudium« ist seit 1781 der Gewandhaus-Leitspruch. Steht er für ein ganz anderes, eher protestantisches Verständnis von Freude?
Koch: Man hat Senecas Wort sicher gewählt, um ein offenes bürgerliches Leben zu präsentieren, das Leipzig immer schon ausgezeichnet hat. Ich sehe bei beiden Worten aber kaum Gegensätze: Die Verknüpfung von Freude und Ernst gibt es im Philipperbrief auch. Die Gemeinde in Philippi lebte in Zeiten der Verfolgung, sie wurde vertrieben, und es gab Streit. In diese schwierige Situation kam Paulus’ »Freut euch!« hinein. Nicht als schöner Optimismus. Sondern der einzige Grund für die Freude ist Paulus zufolge: Gott ist da. Als ich nach Sachsen ging, sagten manche: Jetzt kommst du in ein gottloses Land. Da habe ich immer gesagt: Ich sehe das anders. Ich bin der festen Überzeugung, dass Gott längst da ist. Ich bringe nicht Gott nach Sachsen. Sondern ich kann den Menschen nur helfen, dass sie Gott entdecken. Nehmen Sie das Wort ent-decken dabei ruhig wörtlich: die Decke wegziehen, sichtbar machen. Eine solche Entdeckungsreise mit Menschen zu unternehmen, die suchen und fragen, das ist vielleicht die spannendste Aufgabe.
Im Bistum Dresden-Meißen leben fünf Millionen Menschen. 140 000 Katholiken stehen einer Million Protestanten gegenüber, am größten ist mit 3,8 Millionen jedoch die Zahl der Konfessionslosen. Für wen sind Sie Bischof?
Koch: Eindeutig für alle. Ich verstehe mich nicht als Bischof nur für die Katholiken. Ich will Bischof für alle sein, zu denen ich gesandt bin. Wir sind keine Sekte, keine Schrebergarten-Gemeinschaft, keine Elite. Sondern wir sind Kirche für alle. Eine geschlossene Kirche würde den christlichen Auftrag und die christliche Grundbotschaft verraten. Die Hälfte aller meiner Termine sind Treffen bei Schulen und Einrichtungen, die nicht kirchlich sind. Und ich bin erstaunt über die Ernsthaftigkeit und die Tiefe, denen ich dort begegne. Das macht mir Freude, und es ist für mich spannend, das ganz anders zu erleben als im Rheinland.
Der Dom in Köln, wo Sie lange tätig waren, ist nahezu gleich alt wie der in Meißen. Was bedeutet Ihnen der Zusatz »Meißen« im Namen Ihres Bistums?
Koch: Als erstes beeindruckt mich Benno von Meißen, der als Bischof mit großem Engagement zwischen allen Fronten einen geradlinigen Weg ging. Das zweite: Im Meißner Dom merke ich, wie weh es tut, dass wir die Reformation brauchten, dass wir sie erlebt und in vielen harten Konsequenzen auch erlitten haben. Für mich ist die Spaltung der Kirche vor 500 Jahren eine Wunde. Ich werde alles tun, dass es wieder ein Zusammenkommen gibt. Das dritte: Meißen ist ein Zeichen für beständige Entwicklung. Einst war Meißen die bedeutende Stadt und nicht etwa Dresden. Wir sind mit dem Bischofssitz dann nach Bautzen und später nach Dresden weitergezogen. Das zeigt im Grunde, dass man als Gesellschaft und erst recht als Kirche auf dem Weg sein muss. Es ist auch eine Ermutigung, den Weg weiterzugehen und nicht zu meinen, wo einmal ein Gebäude steht, da seien Zeit und Ewigkeit zusammengefasst.
In Köln gibt es neben dem Knabenchor am Dom seit 1989 einen Mädchenchor. Wann wird es an der Hofkirche in Dresden einen Mädchenchor geben?
Koch: Toll, dass Sie danach fragen! Denn einen solchen Chor in Dresden zu haben, ist mein Herzenswunsch. Es gibt auch schon Überlegungen dazu. Ich habe es als eine große Bereicherung empfunden, als der Mädchenchor in Köln gegründet wurde. Es war ein Wagnis, weil es etliche Vorbehalte gab. Heute ist der Mädchenchor zweifellos eines der Glanzstücke der Stadt.
Vergangenes Jahr waren Sie nicht mit den Dresdner Kapellknaben, sondern mit den Thomanern in Rom. Wie kam das?
Koch: Es war noch Benedikt XVI. gewesen, der im Rahmen einer ökumenischen Initiative bedeutende nichtkatholische Chöre eingeladen hatte. Da war von evangelischer Seite der Vorschlag gekommen, die Thomaner nach Rom zu schicken. Mir war es wichtig, dass dann aber auch Landesbischof Jochen Bohl mitfährt. Das ist geschehen, und das hat unserem Verhältnis eine neue Qualität gegeben. Wir haben gemeinsam den großen Festgottesdienst mit Papst Franziskus in Sankt Peter und Paul gefeiert. Zu meiner Überraschung erlebte ich dort, dass mehrere Thomaner zur Kommunion gingen. Erst da ist mir aufgegangen, wie viele katholische Jungen im Thomanerchor sind.
Welche Rolle spielt Musik in Ihrem Leben?
Koch: Meine Musikgeschichte fängt in meiner Heimatstadt Düsseldorf an. Dort habe ich im Chor gesungen und Geige gelernt, Letzteres dann aber leider ziemlich vernachlässigt. Den eigentlichen Zugang zur Musik brachte mir die Studienzeit. Die katholische Studentengemeinde hatte einen großen Saal mit einem wunderbaren Flügel. Dort gaben Studenten der Robert-Schumann-Hochschule zwei- bis dreimal pro Woche Konzerte mit Einführungen und Gesprächen dazu. Die Musikstudenten waren es auch, die uns an die Oper herangeführt haben. Jedes Semester haben wir uns eine eher fremde Oper vorgenommen: Weills »Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny« zum Beispiel oder Henzes »König Hirsch«. So habe ich Zugang zu Stücken gefunden, in die ich sonst wahrscheinlich nicht gegangen wäre. Von daher habe ich noch bis zu meinem Weggang nach Sachsen ein Opernabonnement in Düsseldorf gehabt.
Sind Sie jetzt in Dresden Abonnent der Semperoper?
Koch: Nein, noch nicht. Ich bin manchmal sogar geneigt, eher in die Leipziger Oper zu fahren. Das Haus reizt mich, weil es nicht so im Rampenlicht steht. Manchmal sind gerade die weniger berühmten Bühnen die interessanteren. Ich bin überhaupt erstaunt, wie viele gute Bühnen es in Sachsen gibt – mit erstaunlichen Programmen und Orchestern.
Wenn auch nicht mit einem Opernabo, so haben Sie sich dennoch schon in Leipzigs Musikleben engagiert: Sie haben sich in die Suche nach einem neuen Kantor für die Propsteigemeinde eingeschaltet. Was hat Sie dazu bewogen?
Koch: Bei herausragenden Musikerstellen, die auch über das Bistum hinaus wirken, wird der Bischof mit einbezogen. Es hatte verschiedene Vorstellungen zur Neubesetzung in Leipzig gegeben. So fand ich, als ich nach Dresden kam, einen Entscheidungsstau vor. Ich glaube, in der Stadt Leipzig mit ihrem musikalischen Anspruch muss auch die katholische Kirche ein sehr qualifiziertes Angebot machen. Zudem war mir wichtig, dass ein Musiker hierher kommt, der mit seinen Kollegen gut kommunizieren kann, der von der fachlichen Qualifikation und beruflichen Erfahrung mithalten und auf Augenhöhe auftreten kann. Die Propsteikirche ist nicht irgendeine Kirche. Sie ist eine offene Kirche, die die Berührung mit denjenigen Menschen suchen soll, die nicht kirchlich gebunden sind. Man muss Wege finden, wie man mit solchen Menschen ins Gespräch kommt. Ich weiß, dass Musik Brücken schlagen kann. Deshalb ist für mich die musikalische Dimension im Gesamtkonzept der Neuen Propsteikirche sehr wichtig. Ich kann zwar Stephan Rommelspachers fachliche Qualifikation nicht beurteilen. Aber ich wollte wissen, ob das Feuer der Musik in ihm brennt und ob er den Mut hat, etwas zu wagen. Das Gespräch, das wir geführt haben, hat mich begeistert. Ihn einzustellen, war meine erste Personalentscheidung als neuer Bischof.
Spielte der Neubau der Leipziger Propsteikirche für Sie bereits vor Ihrer Berufung nach Sachsen eine Rolle?
Koch: Natürlich hatte ich schon davon gehört, es wurde auch bundesweit dafür gesammelt. Aber ich habe es eher intellektuell zur Kenntnis genommen. Als klar wurde, dass ich nach Sachsen gehe, empfand ich das gerade wegen dieser Kirche als Geschenk des Himmels. Ich habe in den fast zwei Jahren hier schon zwei andere Kirchenräume geweiht. Auch wenn sie nicht an die Dimensionen des Propstei-Neubaus herankommen, so kann ich doch sagen: Ich bin hier in einem Land, wo man aufbaut. Im Bistum Köln baut man ab.
Im säkularen Leipzig wird leidenschaftlich über Dinge wie einen Kirchenneubau oder Zuschüsse zum Katholikentag diskutiert. Wie wirkt das auf Sie?
Koch: Da muss man differenzieren. Die Kritik am Kirchenbau hält sich in Grenzen. Ich glaube, es gab da eine kluge Öffentlichkeitsarbeit und viel Transparenz. Diese Kritik ist nicht zu vergleichen mit der am Katholikentag. Ich finde es gut, wenn 25 Jahre nach der friedlichen Revolution demokratische Wege und Instrumente funktionieren. Mich hat es gefreut, wie ernsthaft der Leipziger Stadtrat über den Katholikentag debattiert hat. Das war keine oberflächliche Diskussion. Dass einige Menschen versucht haben, ein Volksbegehren auf den Weg zu bringen, ist ein demokratisches Recht. Da kann ich nicht dagegen sein. Ich habe dem Projekt Katholikentag in Leipzig so früh in meiner Amtszeit zugestimmt, weil ich will, dass es ein kommunikativer Tag wird, dass wir mit Menschen ins Gespräch kommen, die nicht zu uns gehören, die kritisch sind oder die wir bisher gar nicht berührt haben. Meine Sorge war, die finanzielle Diskussion könnte dieses Gespräch blockieren. Jetzt ist die große Herausforderung, wie wir wieder auf ein positives Klima kommen. Ich hoffe, Musik und Kunst werden Wege sein, mit den Menschen beim Katholikentag ins Gespräch zu kommen. Deshalb haben wir eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, in die auch Künstler berufen werden, die Nichtchristen sind.
Im Konzept des Propstei-Neubaus heißt es: »Die äußere Gestaltung des Gebäudes und insbesondere der Zugang zur Kirche müssen einladend sein und neugierig machen.« Finden Sie, das ist gelungen?
Koch: Als ich nach Sachsen kam, waren die entscheidenden architektonischen Würfel schon gefallen. Ich habe bei manchem zunächst geschluckt und gedacht: Hoffentlich ist der Anspruch einlösbar. Je mehr ich den Bau wachsen sehe, umso mehr erlebe ich, er ist es. Dieses Passagenhafte. Diese tolle Fensterwand. Diese edle Einfachheit. Dieses auch im Inneren nicht Erdrückende, sondern Raumgebende, dank des Lichts sogar spirituell Mystische. Ich glaube, das alles birgt die Chance, einladend zu sein und neugierig zu machen. Wobei das aber bei weitem nicht nur vom Bau abhängt. Wenn da keine gastfreundlich einladenden Menschen sind, wenn es keine Kommunikation gibt, keine Offenheit, dann nützt das Gebäude auch nicht viel.
Wir sitzen an einem Montag in der Stadt, in der die Montagsdemonstrationen erfunden worden sind. Seit einigen Wochen benutzt die Bewegung »Pegida« den Montag für ihre Märsche. Wie sehen Sie als Neu-Dresdner diese Kundgebungen?
Koch: Das Demonstrationsrecht haben die Dresdner vor 25 Jahren erkämpft. Und das dürfen wir nicht in Frage stellen, auch wenn uns die Inhalte nicht passen. Ich erlebe jetzt aber eine Radikalisierung. Die Reden werden deutlich aggressiver und gleiten ins Rechtsextreme ab. Ich habe mit Ausländern in Dresden gesprochen, wie diese Demonstrationen auf sie wirken. Das ist verheerend. Und das trifft mich politisch am meisten.
In vielen Gesprächen mit Anhängern oder Sympathisanten dieser Bewegung habe ich allerdings auch Ängste bemerkt. Die Angst etwa, Heimat und Orientierung zu verlieren. Oder die Angst, immer zu denen zu gehören, die draußen bleiben. Ich halte diese psychologische Dimension für erheblich. Deshalb frage ich mich, wie man mit denen ins Gespräch kommt, die dort aus solchen Ängsten heraus mitlaufen.
Ein anderer Gedanke bewegt mich schließlich noch: Vor 25 Jahren wurde »Wir sind das Volk« gegen anmaßende, unrechtmäßig eingesetzte Staatsvertreter gerufen. Heute wird der Ruf gegen Leute gerichtet, die rechtmäßig gewählt sind. Allein das ist schon eine Zumutung. Nach den Demonstrationen von 1989 gab es den runden Tisch, das Sprechen miteinander, das gemeinsam verantwortete Handeln. Das fehlt völlig bei Pegida. So bleibt alles nur Show. Umso klarer muss es uns als Gesellschaft sein: Menschen, die aus welchen Gründen auch immer zu uns kommen, müssen bei uns Sicherheit und Geborgenheit finden.
Pegida meint den Ruf »Wir sind das Volk« in ausgrenzender Weise. Wie tritt die katholische Kirche, die in Sachen Ausgrenzung selbst keineswegs unbescholten ist, dem entgegen?
Koch: Wir haben Heiligabend in Dresden bewusst Obdachlose und Migranten zu uns eingeladen und gemeinsam mit ihnen diesen Abend gefeiert. Am ersten Weihnachtsfeiertag war ich in Chemnitz bei den Mutter-Teresa-Schwestern, die größtenteils aus dem Ausland kommen. Den ganzen Tag über waren alle eingeladen, die kommen wollten. Und es kamen viele, auch Ausländer, zu denen die Schwestern sehr engen Kontakt haben. Mir sind diese Zeichen wichtig. Wir haben im Bistumshaushalt die Flüchtlingshilfe verdoppelt. Der Hauptpunkt aber muss sein, dass unsere Gemeinden auf solche Menschen zugehen. Ich habe immer die Erfahrung gemacht, wo es gemeinsame Erlebnisse gibt, hat Ausgrenzung keinen Platz.
Im Dezember 1015 starb Ihr Vorgänger Bischof Eido von Meißen in Leipzig. Wäre ihm prophezeit worden, in seinem Bistum würden die Katholiken einst nur eine Minderheit sein, er wäre wohl betrübt gewesen. Wo sehen Sie Ihr Bistum wenn schon nicht in 1000, so zumindest in 25 Jahren?
Koch: Ich kann die Zukunft nicht voraussehen und möchte auch nichts prognostizieren. Ich habe mich auf einen abenteuerlichen Weg eingelassen und bin hergekommen, ohne zu wissen, was mich erwartet. Seitdem erlebe ich engagierte junge Menschen, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen, die als Christen in dieser Gesellschaft wirken. Und ich erlebe viel Offenheit von Nichtgetauften, bei denen ich spüre, dass sie dem Grundanliegen des christlichen Glaubens gespannt zuhören. Ich glaube, der Weg der Kirche kann nur über die Zuwendung zu den Menschen weitergehen. Das Thema des Katholikentags »Seht, da ist der Mensch« ist ein Programm für die Kirche hier. Die große Aufgabe wird für uns sein, die Gottesfrage wachzuhalten.
Was meinen Sie mit »Gottesfrage«?
Koch: Jeder Mensch ist ein Gläubiger. Der eine glaubt, mit dem Tod ist alles aus, es gibt kein Weiterleben und keinen Gott. Der nächste glaubt, dass es einen Gott und ein Weiterleben gibt und dass mit dem Tod nicht alles aus ist. Damit ist die Frage: Was ist Leben, was ist Welt, was ist Gott?, eine offene Frage. Diese offene Frage wach- und im Bewusstsein zu halten, das halte ich für die große Aufgabe, die wir im Moment als Kirche haben.
Interview: Hagen Kunze, Claudius Böhm