VERLUST
Ein kühler, nebliger 4. November neigte sich 1847 seinem Ende zu. Obwohl es ein Donnerstag war, blieb es still im Gewandhaus. Die Konzertdirektion hatte das Große Concert spontan abgesagt. Man wusste, dass Felix Mendelssohn Bartholdy im Sterben lag. Um 21.24 Uhr, ungefähr zu der Zeit, zu der heute die langsame Einleitung der Schottischen Sinfonie erklingt, verschied er – keine 300 Meter von uns entfernt in der heutigen Goldschmidtstraße.
RÜCKZUG
Vom Verlust seiner Schwester Fanny, die im Mai desselben Jahres verstorben war, hatte sich Felix nie erholt. Eine Welt war zusammengebrochen, er hatte seine Lebenslust und Schaffensfreude, den inneren Antrieb seines Musizierens verloren. Mendelssohn verfiel in kompositorisches Schweigen, fühlte sich unfähig zu dirigieren, floh in die Berge, wo ihn doch nur Erinnerungen einholten, suchte Trost und Ablenkung in der Malerei und bei seiner Familie. Doch weder sein Bruder Paul, noch seine Frau und Kinder oder der einfühlsame Freund Carl Klingemann konnten Felix aus der fundamentalen Krise befreien. Der umschwärmte Star war plötzlich gesellschaftsscheu, alles war ihm zu laut, zu hektisch. Als er die Sprache der Musik wiederfand, brach ein drastisches letztes Streichquartett aus ihm hervor, Welten entfernt von der quirligen Melusine und der nostalgischen Schottischen, die beklemmende Momente des Verstummens im Finale mit glanzvollem Dur-Ausklang überwindet.
ABSCHIED
Die Musikwelt reagierte bestürzt auf Mendelssohns Tod. In die Trauergemeinde der Leipziger Paulinerkirche, wo Mendelssohn im April noch seinen Paulus dirigiert hatte, reihte sich auch Robert Schumann. Eines der ersten Gedenkkonzerte fand am 11. November im Gewandhaus statt. Sinnreich kombinierte Niels Wilhelm Gade, dem Mendelssohn zum Durchbruch verholfen hatte, Leipziger Lieblingswerke wie die melancholisch mährchenhafte Ouverture zur Melusine, mit geistlicher Vokalmusik, darunter eines der letzten Werke Mendelssohns: Herr, nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren.