Carl Reinecke als Schlüsselfigur des Leipziger Musikbetriebs im späten 19. Jahrhunderts
Symposium anlässlich seines 200. Geburtstags und des gleichnamigen DFG-Projekts
Carl Reinecke (1824-1910) war die zentrale Figur im Leipziger Musikbetrieb des späten 19. Jahrhunderts: 35 Jahre stand er an der Spitze des Gewandhausorchesters; noch einige Jahre länger amtierte er als Professor für Komposition und weitere Fächer am Leipziger Konservatorium; darüber hinaus wirkte er als Gutachter und Herausgeber für den ältesten und größten ortsansässigen Musikverlag, Breitkopf & Härtel. Schließlich war er auch ein äußerst produktiver Komponist, dessen Werke in diversen, vor allem Leipziger Verlagen erschienen und zu seinen Lebzeiten inner- und außerhalb Leipzigs häufig gespielt wurden.
Reineckes Wirken ist von weit mehr als nur lokalem Interesse, weil Leipzig seinerzeit zu den international wichtigsten Musikmetropolen zählte: Das Leipziger Gewandhaus hatte sich zum überregionalen Modell der bürgerlichen Konzert¬kultur entwickelt und galt als eines der bedeutendsten Symphonie¬orchester. Das 1843 von Felix Mendelssohn Bartholdy gegründete Konservatorium entfaltete durch seinen einmalig hohen Anteil internationaler Studierender eine starke überregionale Ausstrahlung. Zudem bildete die Stadt das Zentrum des deutschen Musikverlagswesens.
Trotz seiner zentralen Position war Reinecke wegen seiner konservativen Haltung umstritten. Aus der Perspektive einer einseitig am Fortschrittsprinzip orientierten Musikgeschichtsschreibung wurde ihm vorgeworfen, nur Sachwalter des klassisch-romantischen Erbes gewesen zu sein. Eine solche Sichtweise verkennt, dass der Aufstieg Leipzigs zur »Musikstadt« seit dem frühen 19. Jahrhundert entscheidend durch die enge personelle und strukturelle Vernetzung der ortsansässigen Musikinstitutionen bestimmt wurde. In der Person Carl Reinecke fand diese Vernetzung ihre geradezu idealtypische Ausprägung.
Die Erforschung von Reineckes vielfältigem Wirken, die seit 2023 im Rahmen eines DFG-Projekts an den Instituten für Musikwissenschaft der Hochschule für Musik und Theater »Felix Mendelssohn Bartholdy« und der Universität Leipzig erfolgt, verspricht sowohl neue Einsichten in die Leipziger Musiknetzwerke als auch ein besseres Verständnis einer ihrer Schlüsselfiguren.
Auf dem Symposium werden die verschiedenen Felder von Carl Reineckes Aktivitäten am Gewandhaus, am Konservatorium, im Verlagswesen und als Komponist beleuchtet und miteinander in Beziehung gesetzt.
10:00 Begrüßung
Sektion 1: Carl Reinecke und das Gewandhaus
10:15 Stefan Keym (Leipzig): Strippenzieher oder Rad im Getriebe? Carl Reinecke und das Leipziger Musikleben im späten 19. Jahrhundert
10:45 Claudius Böhm (Leipzig): Carl Reinecke und die Eröffnung des zweiten Gewandhauses
11:15 Linus Hartmann-Enke (Leipzig): Das Gewandhausrepertoire zur Zeit Carl Reineckes. Zwischen Kanon und Aushandlungsprozess
Sektion 2: Carl Reinecke und das Konservatorium
12:00 Johanna Schuler (Leipzig): Carl Reinecke als Lehrer am Leipziger Konservatorium
12:30 Christoph Hust (Leipzig): Musiktheorie am Leipziger Konservatorium um 1900
Sektion 3: Carl Reinecke im Austausch mit Verlegern und Kollegen
15:00 Niklas Schächner (Leipzig): »dem Nestor unserer Autoren«. Carl Reinecke und der Musikverlag Breitkopf & Härtel
15:30 Peter Schmitz (Münster/W.): Carl Reinecke im Briefwechsel mit Künstlerkollegen
Sektion 4: Carl Reinecke als Komponist
16:30 Henrik Wiese (München): Verführerisch?! Drei Betrachtungen zu Carl Reineckes Ballade op. 288
17:00 Thomas Schipperges (Tübingen): Carl Reineckes Sechs Fabeln von La Fontaine und Florian op. 277
17:30 Ann-Katrin Zimmermann (Leipzig): Zwischen Frankreich und Italien, zwischen Harmonie und Quintett: Reineckes Oktett und Sextett für Bläser
Musikalischer Abschluss
18:00 Carl Reinecke, Ballade op. 288 für Flöte und Orchester in der originalen Klavierfassung und Henrik Wieses Klavierauszug der Orchesterfassung – Henrik Wiese (Flöte) & Bernhard Kastner (Klavier)