SAGE UND GEIGE
Wie kommt es, dass manche Musik unserer Tage mitten ins Herz trifft, während uns andere Werke ungerührt, ratlos, vielleicht sogar verärgert zurücklassen? Kaija Saariaho, die 2023 im Alter von 70 Jahren verstarb, besaß die Gabe, mit ihrer Musik viele Menschen zu erreichen und zu bewegen – auch solche, die moderner Musik distanziert gegenüberstehen. Ohne Aufhebens um ihre Person gewann sie alle Preise, die es zu erringen gibt. Vor allem jedoch gewann sie ihre Hörer, gewann Kollegen und Unterstützer, gewann Vertrauen für das Unvertraute und gewann der Neuen Musik ein begeistertes Publikum. Mit einem ihrer letzten Werke erfüllte die finnische Komponistin einen Auftrag der Partnerorchester aus Leipzig und Boston. Nach der Uraufführung mit dem Boston Symphony Orchestra stellt Andris Nelsons den fünfteiligen Orchesterlieder- Zyklus nun mit der Premierensängerin Anu Komsi im Gewandhaus vor.
IM DREIKLANG MIT DER NATUR
Pentti Saarikoski, dessen Gedichte Saariaho vertont, wurde 1937 in Karelien geboren, jener Region, der sein Landsmann Sibelius so viele Inspirationen verdankt – auch die zur Tondichtung En Saga. Warm tönt die Spätsommermusik des Frischvermählten aus dem Herbst 1892, überreich an Themen und Farben, mit Faible für die dunklen Klänge von Bratschen und Violoncelli, Fagotten, Hörnern und Posaunen, durchpulst von der Lebensader des Rhythmus, mit Momenten gebannten Innehaltens, opulentem Jubel und leiser Melancholie. Was Sibelius über sein frühes Erfolgsstück sagt, erinnert an Beethovens Worte zur ebenfalls naturdurchdrungenen Pastoralsinfonie: Die Musik male nicht und erzähle keine Geschichte. Sie sei vielmehr Ausdruck von Empfindung.