Mendelssohns »Elias« & »Paulus« in den Mendelssohn-Festtagen

Im Rahmen der Mendelssohn-Festtage sollen die großen Oratorien von Felix Mendelssohn Bartholdy künftig regelmäßig im Gewandhaus zur Aufführung gelangen und alternierend um den Todestag des Komponisten am 4. November im Gewandhauskonzert zu hören sein. Wer weiß: Vielleicht entsteht im Wechsel von Paulus und Elias ja ebenso eine Tradition wie jene in der Leipziger Thomaskirche, wo seit langem schon in der Karwoche Bachs Johannes- und Matthäus-Passion im steten Wechsel zu erleben sind.

Im Gewandhaus schließt sich damit eine Lücke: Von dort aus rückt nämlich in den 1980er Jahren Kurt Masur nach der Fokussierung auf Mendelssohns Sinfonien auch dessen Oratorien in den Blickpunkt. Elias und Paulus seien zentrale Werke seines Amtsvorgängers, so der damalige Gewandhauskapellmeister. Dass er dabei gegen SED-Kulturbürokraten ankämpfen muss, die allen Ernstes behaupten, zwischen Bachs Matthäus-Passion und Ernst Hermann Meyers Mansfelder Oratorium sei keine Vokalsinfonik von Rang komponiert worden, gehört zu den Eigentümlichkeiten der damaligen Zeit.

Heute ist es kaum mehr verständlich, dass noch vor einem halben Jahrhundert Mendelssohns Oratorien als überholt gelten: Sie seien Zeugnisse einer historisierenden Neubesinnung auf Bach im 19. Jahrhundert, und mit der Bach-Renaissance hätte sich auch dieser Historismus erübrigt, so diedamalige Mehrheitsmeinung. Eine Schallplattenaufnahme aus dem Gewandhaus zertrümmert das Vorurteil. Zwar ist Masurs Einspielung des Paulus von 1986 nicht die erste im Katalog. Doch die Doppel-LP, die in Ost und West gleichermaßen auf den Markt kommt, löst ein gewaltiges Medienecho aus. Nun schreibt niemand mehr von »überholter Musikgeschichte«.

Warum aber sind jene Werke so untrennbar mit der Historie der Musikmetropole verbunden? Der Grund liegt in der Laienchorbewegung, die zu einer Blüte des Oratoriums führt. Auch über den Apostel Paulus liegen bereits einige heute vergessene Chorwerke vor, als der gerade nach Leipzig gezogene Mendelssohn 1835 die Arbeit an einem zuvor konzipierten Oratorium wieder aufnimmt. Möglicherweise versteht der Gewandhauskapellmeister die Arbeit auch als Pflicht gegenüber dem soeben verstorbenen Vater, der den Sohn gerade zu dieser Komposition stets drängte. Zudem will Mendelssohn den jungen Chören der Stadt eine anspruchsvolle Aufgabe geben, nachdem sich diese mit Händels Israel in Ägypten präsentiert hatten.

Bald nach der Uraufführung im Mai 1836 beim Niederrheinischen Musikfest in Düsseldorf wird der Paulus zum internationalen Symbol für die Blüte der Gattung. Ende 1837 freut sich der Verlag bereits über die 50. Aufführung, darunter sogar eine in Boston. In Leipzig ist das Werk zehn Monate nach der Düsseldorfer Uraufführung zu erleben – zum Saisonabschluss am 16. März 1837. Für die Aufführung mit rund 300 Sängerinnen und Sängern wechselt man in die Universitätskirche St. Pauli. Dort findet zehn Jahre später am 2. April 1847 auch eine weitere Aufführung statt: das letzte Dirigat des Gewandhauskapellmeisters in jener Stadt, die ihm so viel zu verdanken hat.

Dass die neue Serie zu Mendelssohns Todestag in diesem Herbst mit dem später komponierten Elias startet, scheint folgerichtig. Denn dieses 1846 uraufgeführte Oratorium übertrifft nochmals den Ruf des Vorgängers und zählt heute zu den meistaufgeführten Werken Mendelssohns. Dabei tut sich der Komponist mit der Arbeit zunächst schwer: Möglicherweise wäre der 1838 begonnene Elias wie auch einige andere Fragmente nicht zu Ende komponiert worden, wenn nicht das Birmingham Music Festival im Juni 1845 um die Komposition eines neuen Oratoriums gebeten hätte.

Zweifellos ist das Werk über den alttestamentlichen Propheten darum auch vordergründig für den englischen Musikgeschmack geschrieben. Der Elias, dessen Beliebtheit auf der Insel nur noch von Händels Messias übertroffen wird, gilt seit seiner Uraufführung in England als Mendelssohns herausragendes Meisterwerk und Verkörperung seines vermeintlich »viktorianischen« Stils.

Wie schon der Paulus ist auch dieses nachfolgende Oratorium eine gemeinsame Arbeit des einstigen Gewandhauskapellmeisters mit dem Dessauer Pfarrer Julius Schubring, wobei der Komponist im Gegensatz zum Librettisten die neutestamentlichen Bezüge auf ein Minimum reduziert. Umso mehr überrascht ein musikalisches Detail, das zudem mit einem Bach-Motiv unterstrichen wird: Wenn Elias klagt »Es ist genug!«, dann zitiert das Cello die berühmte Gambenarie »Es ist vollbracht« der Johannes-Passion und verbindet so den Propheten mit dem gekreuzigten Christus.

Der frühe Tod des Komponisten verhindert die im Herbst 1847 geplante Aufführung des Elias unter eigenem Dirigat in Leipzig: Nachgeholt wird die Erstaufführung wenige Monate später am 3. Februar 1848 unter Leitung von Niels Wilhelm Gade. Obwohl auch diesmal mehr als 300 Musiker beteiligt sind, findet das Konzert im Gewandhaus statt. Weil die Leipziger übergroßes Interesse zeigen, wird zur Hauptprobe Publikum zugelassen. - Hagen Kunze


Weitere Nachrichten