In jenem Zeughaus ließ die Stadt den ersten Leipziger Konzertsaal errichten. Keine anderthalb Jahre brauchten die Bauleute, bis hier ab November 1781 die „Großen Concerte“ – sie waren 1743 gegründet und bis 1778 im Gasthaus „Zu den drei Schwanen“ veranstaltet worden – ihre Fortsetzung fanden.
Die Weitsicht der Konzertdirektion – damals ein ehrenamtlich arbeitendes Gremium Leipziger Bürger – darf man heute noch bewundern: Sie mietete den neuen Saal im Zeughaus, nannte ihre musikalischen Veranstaltungen aber „Concerte im Saale des Gewandhauses“. Ein Coup mit Langzeitwirkung: Nicht als „Zeughaus zu Leipzig“, sondern als „Gewandhaus zu Leipzig“ erlangte die Konzertstätte Bedeutung, und kein „Zeughausorchester“ eroberte künstlerischen Rang, sondern das „Gewandhausorchester“.
Zu Rang und Namen trug der Konzertsaal wesentlich bei: Ganz aus Holz, war er in das Obergeschoss des Zeughauses nahezu wie eine Geige in einen Geigenkasten hineingesetzt. So bildete der Saal einen riesigen Resonanzkörper und wirkte selbst wie ein Musikinstrument. 500 Zuhörer fanden in ihm Platz, erlebten Mozarts einziges Leipziger Gastspiel oder Clara Wiecks ersten öffentlichen Auftritt, waren dabei, als Carl Maria von Weber oder Liszt als Pianisten brillierten, sahen Berlioz und Brahms und Wagner dirigieren und bekamen als Erste Stücke zu hören, die heute in aller Welt berühmt sind: Beethovens fünftes Klavierkonzert zum Beispiel oder Schuberts große C-Dur-Sinfonie, Mendelssohns Violinkonzert oder Schumanns „Frühlingssinfonie“.
Kein Wunder, dass die Nachfrage nach diesen Konzerten rasant wuchs. Um weitere Zuhörerplätze zu schaffen, baute man den Konzertsaal mehrmals um – und jedes Mal büßte der Raum ein Stück seines guten Klanges ein.
Um 1860 begannen Überlegungen zur Errichtung eines neuen Konzerthauses. Dabei dachten die Gewandhausdirektoren an einen Platz in bester „Citylage“. Die Stadtregierung aber hatte anderes im Sinn: Ein Konzerthausbau am Stadtrand könnte die Initialzündung für ein neues Stadtviertel sein. Und so geschah es: Das in zweieinhalb Jahren erbaute und im Dezember 1884 eröffnete Neue Gewandhaus – das erste Gebäude des neuen Stadtteils – beflügelte die Entwicklung des entstehenden Leipziger Musikviertels ungemein.
Anders als der alte Gewandhaussaal gehörte das neue Haus nicht der Stadt, sondern der Gewandhausdirektion. Der Große Saal – „ein akustisches Gefäß von offenbar durch Glück und Genie gefundenen besten Maßen“ – bot 1500 und der Kleine Saal 500 Zuhörern Platz. In diesem Haus schlug Bruckner die Orgel, strich Hindemith die Bratsche, griff Strawinsky in die Klaviertasten, dirigierten Brahms, Grieg, Strauss, Tschaikowski und weitere berühmte Komponisten.
1892 wurde vor dem zweiten Gewandhaus ein Denkmal für Felix Mendelssohn Bartholdy enthüllt. 44 Jahre später behaupteten die herrschenden Nationalsozialisten, dieses Denkmal für einen „Vollblutjuden“ errege „öffentliches Ärgernis“, und ließen es beseitigen. 1933 hatten sie schon Gewandhauskapellmeister Bruno Walter gleichsam Auftrittsverbot erteilt. Er hatte daraufhin Leipzig für immer verlassen.
Von Bomben getroffen, brannte das Neue Gewandhaus im Februar 1944 aus. Jahre in provisorischen Spielstätten folgten. Ab 1947 fanden die Gewandhauskonzerte in der Kongresshalle am Zoo statt. Über 30 Jahre vergingen, ehe die Stadt Leipzig ein neues Konzerthaus ihr eigen nennen konnte: die wiederum „Neues Gewandhaus“ genannte Spielstätte an der Südseite des heutigen Augustusplatzes.
Dieses dritte Gewandhaus ist der einzige Konzerthausneubau der DDR. Die Initiative zu seiner Errichtung ging von Gewandhauskapellmeister Kurt Masur aus, der während der 57-monatigen Bauzeit eng mit dem Architektenteam zusammenarbeitete.
Aushängeschild des dritten Gewandhauses ist das Deckenbild „Gesang vom Leben“ des Leipziger Künstlers Sighard Gille. Es erstreckt sich über vier Deckenschrägen und ist die größte zeitgenössische Deckenmalerei Europas. Nachts von Scheinwerfern beleuchtet, strahlt es durch die Glasfront des Hauses auf den Platz hinaus.
Der Große Saal mit amphitheatrischer Sitzanordnung bietet über 1.900 Besuchern und der Mendelssohn-Saal knapp 500 Besuchern Platz. Den Großen Saal krönt die majestätische Orgel der Potsdamer Firma Schuke mit vier Manualen, 92 Registern und 6.845 Pfeifen. Am Orgelprospekt ist der Leitspruch des Gewandhauses angebracht: „Res severa verum gaudium“ (wahre Freude ist eine ernste Sache). Dieser Spruch des römischen Philosophen Lucius Annaeus Seneca begleitet das Gewandhaus seit 1781. Im ersten Gewandhaus stand er an der Stirnseite des Konzertsaals, im zweiten Gewandhaus prangte er an der Fassade über dem Haupteingang.
Ungefähr 800 Veranstaltungen verschiedenster Art gibt es jährlich im Gewandhaus. An herausragender Stelle stehen dabei die Sinfoniekonzerte des Gewandhausorchesters wie auch die Gewandhaus-Orgelkonzerte im Großen Saal. Im Mendelssohn-Saal finden neben der Gewandhaus-Kammermusik Kongresse, Symposien, Vorträge und anderes mehr statt.
Und für die Leipzig-Besucher, die vor dem Konzerthaus am Augustusplatz stehen und sich verwirrt fragen: „Das soll das jahrhundertealte Leipziger Gewandhaus sein?“, gibt es ein breit gefächertes Angebot an Führungen durch das Haus. Außerdem zeigt im Hauptfoyer, das in der Regel wochentags 10 bis 18 Uhr und samstags 10 bis 14 Uhr geöffnet ist, eine Dauerausstellung die Modelle der drei Gewandhausbauten von 1781, 1884 und 1981 mit begleitenden Texten und Bildern.
Claudius Böhm