»Die Pflicht, etwas zurückzugeben« Franz Welser-Möst im Interview

Drei Große Concerte wird Franz Welser-Möst im November dirigieren. Warum ihm vor allem das dritte, ein Benefizkonzert, am Herzen liegt, lesen Sie in diesem Interview.

Herr Welser-Möst, im Großen Concert am 24. und 25. November wird neben Leoš Janáčeks Suite aus Das Schlaue Füchslein und Antonín Dvořáks Fünfter Sinfonie das 2. Violinkonzert von Karol Szymanowski erklingen. Wodurch zeichnen sich diese drei Werke aus?

Sie sind wahnsinnig farbenreich – und sie alle erzählen von der Natur. Dvořáks Fünfte ist ja quasi seine Pastorale und voll von Landschaftsbildern. In Janáčeks Füchslein geht es um den Wald und Tiere, wenngleich allegorisch und auch Szymanowski hat der Natur sehr vieles abgelauscht.

Für das dritte Konzert Ihres Gastspiels, das Benefizkonzert zugunsten der gemeinnützigen Stiftung »Leipzig hilft Kindern«, wurde das Programm geändert: Im ersten Teil wird dann das Violinkonzert von Jean Sibelius gespielt. Warum diese Programmänderung?

Szymanowskis Violinkonzert ist vergleichsweise unbekannt. Es wird deshalb eher Menschen anziehen, die sowieso regelmäßig ins Konzert gehen, schon vieles gehört haben und ihr eigenes Repertoire erweitern wollen. Mit dem Violinkonzert von Sibelius haben wir an dem Benefizabend einen populären Klassiker im Programm. Ich finde das absolut nachvollziehbar und legitim, denn hier geht es um den guten Zweck. Da sollen so viele Leute wie möglich kommen. Abgesehen davon ist aber auch Jean Sibelius ein Meister der musikalischen Landschaftsmalerei – gut hörbar zum Beispiel im letzten Satz seiner Fünften Sinfonie, der von aufsteigenden Schwänen über einem See erzählt.

Was bedeutet es für Sie persönlich, ein Benefizkonzert zu dirigieren?

Jeden Morgen beim Aufwachen wird mir aufs Neue bewusst, dass ich ein sehr privilegiertes Leben führe. Ich habe einen wunderbaren Beruf, ich wohne schön, ich esse gut – aber das gilt nicht für alle Menschen. Und ich sehe es als meine Pflicht an, etwas zurückzugeben und mich auch um diejenigen zu kümmern, denen es weniger gut geht. In den USA, die seit gut 20 Jahren meine zweite Heimat sind, ist das ganz selbstverständlich – umso mehr, wenn es um Kinder geht.

Dort gibt es ja eine sehr ausgeprägte Charity-Kultur. Wo sehen Sie da Unterschiede zu Europa?

Mein Eindruck ist, dass im Denken der Menschen dort sehr stark der Grundsatz verankert ist: Wenn ich es durch Fleiß, aber eben auch durch das nötige Quäntchen Glück zu etwas gebracht habe, dann bin ich dazu verpflichtet, der Gesellschaft etwas zurückzugeben. Vor allem die sogenannte gehobene Schicht zeichnet sich in den USA durch einen viel stärkeren Gemeinschaftssinn aus als hier in Europa. Vielleicht hat das auch etwas damit zu tun, dass es größtenteils die Nachkommen von Einwanderern sind, die sich selbst eine Existenz sichern mussten. Von ihrem selbst erworbenen Wohlstand geben sie gern auch größere Teile wieder ab, während in Europa das Vermögen traditionell vererbt wird und vielleicht deshalb im Sinne der Nachkommen eher zusammengehalten wird. Ich kenne einige sehr wohlhabende US-amerikanische Familien, die ihren Kindern zwar einen guten Start ermöglichen, vor allem in Form der Ausbildung, sie dann aber selbst etwas aufbauen lassen. Aus dem starken Wunsch, etwas zurückzugeben, erklärt sich der Erfolg der Non-Profit-Organisationen in den USA. Aber auch viele Krankenhäuser sowie die Kulturszene wären dort ohne die großzügigen Spenden gar nicht überlebensfähig – und die gesamte Unternehmenskultur und selbst das Steuersystem sind entsprechend auf Charity ausgerichtet.

Schon im April 2023 kann das Leipziger Publikum Sie erneut im Gewandhaus erleben: Dann werden Sie Gustav Mahlers Sechste Sinfonie dirigieren. Was macht für Sie den Reiz dieses Werkes aus?

Der Wunsch, gemeinsam Mahler zu musizieren, wurde aus dem Gewandhausorchester an mich herangetragen – und ich habe mich natürlich sehr darüber gefreut. Die Fünfte Sinfonie haben wir bereits zusammen aufgeführt, und es sind Aufnahmen der Fünften, Sechsten und Siebten Sinfonie geplant. Mich reizt an diesem Projekt die Möglichkeit, verschiedene Interpretationsstränge auszuloten. Aufgewachsen sind wir wohl alle mit Leonard Bernsteins Einspielungen, aber für mich persönlich waren die Interpretationen von Bruno Walter eine echte Entdeckung und Inspiration. Wie er möchte auch ich die klassische Struktur des Werkes erkennbar machen – denn die ist durchaus vorhanden, auch wenn Mahler selbst sie immer wieder unterwandert hat.

Vermutlich wird eine Sinfonie von Mahler, aber auch von Dvořák hier in Leipzig völlig anders klingen als bei Ihnen in Cleveland. Wie leben Sie mit diesen Klangunterschieden?

So ein Konzert ist ja immer ein Austausch zwischen zwei Künstlerpersönlichkeiten: der individuellen Persönlichkeit des Dirigenten und der kollektiven Persönlichkeit des Orchesters. Als Dirigent ist man grundsätzlich gut beraten, wenn man erst einmal gut hinhört und dann mit dem arbeitet, was das Orchester aus seiner eigenen Musiktradition heraus anbietet. Gerade bei einem so alten Klangkörper wie dem Gewandhausorchester, dessen Charakter über viele Jahrhunderte gewachsen ist, ist das sehr spannend. Natürlich klingt das ganz anders als das deutlich jüngere Cleveland Orchestra – und ich bin sehr froh, dass das so ist. Nur wenn man bewusst mit der jeweiligen Persönlichkeit des Orchesters arbeitet, wird ein musikalischer Austausch auf höchstem Niveau möglich.

Das Interview führte Juliane Moghimi.

Große Concerte am 24./25. NOV 2022

Benefizkonzert am 26. NOV 2022


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