Nachruf

Wir trauern um den ehemaligen Thomaskantor Georg Christoph Biller, der am 27. Januar 2022 nach langer Krankheit gestorben ist.

Der 1955 in Nebra geborene Musiker war selbst Thomaner. Nach seiner Chorzeit studierte er an der Leipziger Musikhochschule Orchesterleitung und Gesang. Zu seinen Lehrern gehörten Rolf Reuter und Gewandhauskapellmeister Kurt Masur, der ihn 1980 zum Leiter des Gewandhauschores berief. In den folgenden elf Jahren, in denen Biller die künstlerische Verantwortung für den Laienchor trug, dirigierte er neben etlichen A-cappella- auch eine größere Zahl chorsinfonischer Konzerte, in denen oft auch das Gewandhausorchester mitwirkte. Ein besonderes Anliegen sei es ihm dabei gewesen, blickte Biller später zurück, »dem Leipziger Musikleben durch Aufführungen chorsinfonischer Raritäten Impulse zu verleihen«.

Neben seiner Tätigkeit als Gewandhaus-Chordirektor trat Christoph Biller als Sänger in Erscheinung. Und das sowohl in den Aufführungen der Bach-Oratorien und -Kantaten gemeinsam mit dem Gewandhausorchester in der Thomaskirche wie auch bei verschiedenen Aufführungen im Gewandhaus, wo er neben anderem eine erhebliche Zahl zeitgenössischer Werke interpretierte.

Mit der 1992 erfolgten Berufung Georg Christoph Billers zum Thomaskantor setzte sich die Zusammenarbeit mit dem Gewandhausorchester fort, nun aber auf anderer Ebene: Ist der Thomaskantor doch seit alters her einer der künstlerischen Leiter des Orchesters, neben dem Gewandhauskapellmeister und dem Generalmusikdirektor der Oper Leipzig. Mit einem großen, Spannkraft und langen Atem erfordernden Vorhaben setzte Biller sogleich den ersten Meilenstein seines Kantorats: die auf mehrere Jahre verteilte zyklische Gesamtaufführung aller Kirchenkantaten Johann Sebastian Bachs mit dem Thomanerchor und dem Gewandhausorchester. Wichtig war Christoph Biller dabei die Einbettung in das Kirchenjahr. Die Kantaten sollten in Verbindung mit dem jeweiligen Sonntag zur Aufführung kommen, für den Bach sie komponiert hatte.

Hierin zeigt sich bereits die geistliche Dimension, die Georg Christoph Biller für das unter seinem Vorgänger eher verweltlichte Thomaskantorat zurückeroberte. Die Motetten des Thomanerchores profilierte er neu, indem er einerseits die am Freitagabend zu einem Vespergottesdienst umgestaltete und andererseits bei der Aufführung der Bach-Kantate im Anschluss an die Motette am Samstagnachmittag auf Kontinuität und die liturgische Verbindung zum darauffolgenden Sonntag achtete.

Im Laufe seiner Amtszeit setzte sich Georg Christoph Biller zunehmend mit der historisch informierten Aufführungspraxis und mit dem Verständnis von »Musik als Klangrede« auseinander und schuf auf dieser Grundlage einen modernen »Leipziger Bach-Stil«, der dem vielstimmigen Konzert der Bach-Interpretationen weltweit eine eigene, kraftvolle, der Bach-Stadt Leipzig mit ihren authentischen Stätten angemessene Stimme hinzuzufügen vermochte. Bei vielen Konzertreisen trug Christoph Biller gemeinsam mit den Thomanern und dem Gewandhausorchester jenen neuen Leipziger Bach-Stil in die Welt hinaus: In den 76 gemeinsamen Tourneekonzerten in Asien und Europa erklang allein Bachs Matthäus-Passion 37 Mal.

Höhepunkte in Billers Kantorat bildeten zum einen das von ihm konzipierte und künstlerisch geleitete große Bachfest Leipzig 2000 zum 250. Todestag des »größten aller Thomaskantoren« und zum anderen das gemeinsame 800-Jahr-Jubiläum von Thomanerchor, Thomaskirche und Thomasschule im Jahre 2012. Hier kulminierte vieles, was Georg Christoph Biller über die Jahre hinweg visionär verfolgt hatte. An vorderster Stelle ist hierbei die Gründung und Etablierung des Bildungscampus »Forum Thomanum« zu nennen, zu dessen Initiatoren und geistigen Vätern Biller gehört. Zu nennen ist jedoch auch sein stetes Bemühen, der Kirchenmusik unserer Tage sowohl Stimme als auch neue Werke zu verschaffen. Es gipfelte im Jubiläumsjahr 2012 in Kompositionsaufträgen für Festmusiken an Hans Werner Henze, Brett Dean, Heinz Holliger und Krzysztof Penderecki.

Den vier Festmusiken steuerte Georg Christoph Biller eine fünfte aus eigener Feder bei: »St. Thomas-Ostermusik« (später umbenannt in »Christus, das Licht«) für 19 Bläser, Schlagwerk, Kontrabass und siebenstimmigen Chor. Bei der Uraufführung im Festgottesdienst am Ostersonntag wirkten Gewandhausmusiker mit, genauso wie bei anderen Kompositionen Billers. Im Gewandhaus sind zuletzt die »Luther-Metamorphosen« erklungen, am 17. September 2017 uraufgeführt durch das Gewandhaus-Bläserquintett.

Georg Christoph Biller hat sich mit seinem Wirken und seinen Werken tief in die Musikgeschichte Leipzigs eingeschrieben. Gewandhausorchester und Gewandhaus blicken mit großer Dankbarkeit sowohl auf seine Zeit als Gewandhaus-Chordirektor als auch auf sein doppelt so langes, reich gefülltes Thomaskantorat zurück. Wir dürften nicht zu hoch greifen, indem wir insbesondere letzteres als epochal bezeichnen.


Weitere Nachrichten