Post von Richard Wagner

Ein Brief des Komponisten vom Mittwoch, 30. Januar 1878.

Geehrtester Herr Director!

Ich halte es für wichtig, Sie darauf aufmerksam zu machen, dass Sie, sowohl in Ihrem als in meinem Interesse, gut verfahren würden, wenn Sie die »Walküre« nicht ohne sie vom »Rheingold« vorausgehen zu lassen, geben. Das Leipziger Theater hat sich, sehr verständiger Weise, dazu entschlossen, beide Werke zugleich studiren zu lassen, um, immer in zwei Tagen, Rheingold und Walküre zusammen zu geben. Diess bewirkt, dass die wichtige Parthie des »Wotan« zur vollen Geltung in der »Walküre« kommt, was, ohne das Vorausgehen des »Rheingold«, unmöglich ist. Dann können die späteren Theile sehr gut einzeln nachfolgen. Wollen Sie gütigst sich diesen Rath zu Gemüthe führen!
Nun aber habe ich Sie um eine vollständige Privat-Gefälligkeit zu ersuchen. Auf Empfehlung des Herrn Senator’s Petersen hat mir, noch vor 2 Jahren, ein Cigarrenhändler – Roeber – eine gewisse, mir recht convenirende, Sorte von Cigarren geliefert. Ich bin ihm sogar – wie ich glaube – die letzte Lieferung noch schuldig. Im vergangenen Jahre erbat ich mir von ihm eine neue Sendung und Gesammtberechnung meiner Schuld an ihn: ich erhielt aber keine Antwort, was mich veranlasst zu glauben, dass ich eine unrichtige Adresse abgab. Um dieses gleiche Experiment nicht zu widerholen, erlaube ich mir nun Ihre Güte dahin in Anspruch zu nehmen, den Cigarrenhändler »Roeber« (wenn er so heisst) entweder selbst, oder – durch geneigte Vermittelung des Herrn Senator’s Petersen – zu erkunden, und diesem jedenfalls aufzugeben, mir 1000 Stück gute – nicht schwere – Cigarren mit der Berechnung meiner Schuld gegen ihn, alsbald zukommen zu lassen.
Nehmen Sie mir diese kleine Zumuthung nicht übel, und empfangen Sie zum Voraus meinen besten Dank für Ihre geneigte Bemühung, falls Sie deren werth halten sollten Ihren sehr ergebenen
Richard Wagner
Bayreuth / 30 Jan. 1878.

Dieser Brief ist bekannt – und ist es nicht. Denn seine Veröffentlichungsgeschichte ist einigermaßen kurios. Gerichtet war das Schreiben an Bernhard Pollini, den Direktor des Hamburger Stadt-Theaters. Mit ihm verhandelte Richard Wagner bereits seit einigen Monaten wegen der Aufführungsrechte für den »Ring des Nibelungen«. Pollini hatte anfangs nur die »Walküre« bringen wollen; sie galt damals als die zugkräftigste unter den vier »Ring«-Opern. Das indes gestattete Wagner nicht. Also ließ sich der geschäftstüchtige Impresario auf Verhandlungen zum ganzen »Ring« ein, bestand aber darauf, mit der »Walküre« zu beginnen. Der genervte Komponist – nicht allein in Hamburg war man vor allem am zweiten Teil der »Ring«-Tetralogie interessiert – ließ ihn gewähren, erteilte ihm allerdings bereits am 29. Oktober 1877 den »sehr wohl erwogenen Rath«, der »Walküre« das »Rheingold« vorangehen zu lassen, »gleichsam als Einleitung, welche der ›Walküre‹ besseres Verständniß sichert«. Pollini aber schlug diesen wie auch den abermaligen Rat vom 30. Januar 1878 in den steifen Wind des Nordens: Am 30. März 1878 feierte die »Walküre« Premiere an seinem Theater.
Vorgeblich, um zum 25-Jahr-Jubiläum an die erste Hamburger »Walküre«-Aufführung zu erinnern, veröffentlichte die Zeitung Neue Hamburgische Börsen-Halle 1903 die beiden genannten Schreiben in vollem, wenngleich orthographisch bereinigten Wortlaut. Die in Charlottenburg erscheinende Allgemeine Musik-Zeitung brachte keine zwei Wochen später einen Nachdruck der zwei Briefe. Bernhard Pollini, ein rücksichtsloser »Gewalthaber« (so Gustav Mahler) mit vielen Gegnern, war vor fünf Jahren gestorben. Jetzt zu präsentieren, dass dieser »assimilierte Jude« gegen den Willen des »Meisters« gehandelt hatte, dürfte nicht absichtslos geschehen sein.

Der postume Angriff gegen den schillernden Opernprinzipal ging möglicherweise nach hinten los. Der »Bayreuther Gemeinde« mag nicht gefallen haben, dass Wagner 20 Jahre nach seinem Tod so unverblümt als der geoffenbart wurde, der er zeitlebens war: ein schamloser Schuldenmacher und erbärmlicher Schnorrer. Einer, der den Hauptteil eines Briefes nicht der Sorge um sein künstlerisches Werk widmete, sondern dem eigenen Luxus und Genuss.
So wundert es nicht, dass in der folgenden Wagner-Literatur der »Zigarrenbrief« vom Januar 1878 zwar genannt, aber verkürzt oder gar entstellt zitiert wurde. Fand in Wilhelm Altmanns Wagner-Briefverzeichnis von 1905 die Zigarrenbestellung wenigstens noch mit einem Nebensatz Erwähnung, brachte der im gleichen Jahr von Sebastian Röckl und Erich W. Engel herausgegebene Kalender »Richard Wagners Leben und Werke im Bilde« ein »bereinigtes« Faksimile des Briefes. Unter den ersten Absatz mit dem Schlusssatz »Wollen Sie gütigst sich diesen Rath zu Gemüthe führen!« war einfach der allerletzte Absatz montiert worden: »Nehmen Sie mir diese kleine Zumuthung nicht übel ...« So musste der Leser glauben, der ach so hochanständige Wagner habe sogar noch um Verzeihung dafür gebeten, dem Theaterdirektor einen Rat erteilt zu haben.
Eine bewusste Fälschung ganz in Bayreuther Sinne. Cosima Wagner hatte schon in ihrem Tagebuch unter dem 30. Januar 1878 eingetragen, ihr Gatte habe abends »einige Briefe geschrieben, unter andrem an Herrn Pollini, damit er das Rheingold mit ›Walküre‹ zugleich gebe, und nicht nachher«. Von Zigarren kein Wort.

Das verfälschte Faksimile im Röckl-Engel-Kalender trägt allerdings einen Quellenvermerk, der statt nach Bayreuth anderswohin weist: »Im Besitze des Herrn Professor Arthur Nikisch in Leipzig.« Der Gewandhauskapellmeister war bekanntermaßen Wagner-Fan und passionierter Zigarrenraucher. Sollte er, mit Verständnis für sein Idol, den Brief nur unter der Bedingung zur Verfügung gestellt haben, dass der Zigarrenpassus unterschlagen würde? Eine Frage, die offen bleiben muss – genauso wie jene, wie Nikisch in den Besitz des Briefes gelangt ist. Hier indes sticht eine Option geradezu ins Auge: Kein Jahr vor seinem Tod hatte Bernhard Pollini die Koloratursopranistin Bianca Bianchi – mit bürgerlichem Namen Bertha Schwarz – geheiratet. Sie und der gleichaltrige Nikisch kannten sich. Am 24. März 1880 hatte Bianchi in Leipzig gastiert. Das Konzert im Neuen Theater hatte der damalige Theaterkapellmeister Nikisch dirigiert. 1889 war die Sängerin von der Münchner an die Budapester Hofoper gegangen. Operndirektor dort wurde vier Jahre später – Nikisch. Vielleicht nur Zufall, aber auffällig: 1895 verließen beide das Budapester Haus. Ab 18. November 1897 kam Nikisch regelmäßig als Gastdirigent nach Hamburg. Gut denkbar, dass er aus der Hand der Witwe – Pollini starb am 26. November 1897 – den Wagner-Brief erhielt.
Konnte er die heute kaum noch entzifferbaren, vermutlich von Pollini stammenden Randbemerkungen auf der Briefvorderseite links oben lesen und deuten? »... Anfang Rheingold, dann / beide Werke unmöglich / Anfang nächsten Jahres / gleich Rheingold, dann beide Werke.« Weit besser lesbar sind die zwei Adressen auf der unteren Hälfte des Randes: »C. T. Röper / alt Wandrahm 15 / Röver + Ci gr Bäckerstr / 20«. Im Hamburgischen Adreß-Buch für 1878 sind beide Firmen verzeichnet: »Röper, C. T., Cigarrenfabrik n. Lager« und »Röver & Co., Kaufl., Cigarren-Lag.«. Ob eine von beiden tatsächlich Wagners »Roeber« war?

Dieser Brief wird Arthur Nikisch viel bedeutet haben. Immerhin war er an der von Wagner gelobten »verständigen« Erstaufführung des »Rings« in Leipzig unmittelbar beteiligt gewesen – als damals gerade frisch engagierter Chordirektor und Korrepetitor. Die Familie wusste das und hielt das Dokument auch nach Nikischs Tod in Ehren. Selbst in den Geldnöten der 20er Jahre, wo so manches verkauft wurde, blieb dieser Brief als unveräußerlich bewahrt. Nach abenteuerlichen Wegen landete er gemeinsam mit dem Restnachlass des Ehepaares Nikisch bei dessen Enkeltochter Veronica Moss. Kurz vor ihrem Tod am 23. Februar 2012 hat sie diesen Nachlass als Depositum an das Gewandhaus übergeben. In dankbarer Erinnerung an sie veröffentlichen wir daraus das vollständige, unverfälschte Faksimile des Wagner-Briefes.
Claudius Böhm