Elefanten sollen nicht für Musik sterben

Die Amerikaner machen Ernst mit dem Artenschutz. Welche Konsequenzen hat das für Orchestertourneen?

Orchestermanager sind gewöhnlich stressresistent. Wer wie Marco Eckertz beim Gewandhausorchester dafür verantwortlich ist, dass bei Gastspielen auch im entferntesten Winkel der Welt jeder Musiker am Auftrittstag sein Instrument in der Hand halten kann, der hat zweifellos schon vieles erlebt. Umso erstaunlicher ist, was Eckertz unmittelbar vor der jüngsten USA-Tournee des Gewandhausorchesters offen zugab: »Ich habe nachts Albträume davon, dass etwas schiefgeht, dass irgendein Papier falsch beschrieben ist und wir unsere Instrumente nicht einführen können.« Dass Eckertz über seine Ängste so frei redet, hat einen einfachen Grund: Er weiß, dass er nicht der Einzige ist, dem es so geht. »Die Kollegen bei den Berliner Philharmonikern hatten vor ihrer Amerikatournee im September auch schlaflose Nächte, wie sie mir berichtet haben.«
Nun reisen die Spitzenorchester aus Deutschland im Jahr 2014 beileibe nicht zum ersten Mal nach Amerika. Und dass im Zuge der Anschläge des 11. September 2001 die Einreisebestimmungen immer weiter verschärft wurden, ist in Europa auch längst bekannt. Was also ist in diesem Jahr Besonderes passiert, das bei den Orchestermanagern heimischer Ensembles zu Albträumen führt? Die Antwort ist erstaunlich: Es ist schlicht die konsequente Fortschreibung eines vor 41 Jahren abgeschlossenen und bereits am 1. Januar 1975 in Kraft getretenen internationalen Vertrags, der anno 2014 die Gemüter aufwallen lässt.
Die »Convention on International Trade in Endangered Species of Wild Fauna and Flora«, kurz CITES, bezeichnet gleichermaßen ein Abkommen und eine internationale Organisation. Beide haben zum Ziel, das Überleben von Wildtieren und -pflanzen zu sichern, die vom Aussterben bedroht sind. Unterzeichnet wurde die Konvention am 3. März 1973 in Washington, weshalb sie hierzulande als »Washingtoner Artenschutzabkommen« bekannt ist.

Vier Jahrzehnte später mussten bei der CITES-Konferenz im März 2013 in Bangkok selbst Optimisten eingestehen, dass es mit dem Artenschutz nicht weit her ist. Die illegale Jagd auf Elefanten etwa nahm in den vergangenen Jahren angesichts der zunehmenden Professionalisierung und Militarisierung der Wilderer bisher ungekannte Ausmaße an. Grund genug also für die 177 Staaten, die bisher CITES beigetreten sind, eine Verschärfung der Regelungen zu fordern. Wurde bisher beispielsweise bei Musikinstrumenten in den meisten Fällen kaum hingeschaut, so nahmen sich nun die Delegierten auch der Tatsache an, dass Geigenbögen in vielen Fällen Teile aus Elefanten-Elfenbein enthalten. Das aber ist seit fast vier Jahrzehnten nur noch dann legal, wenn der Instrumentenbauer dafür Elfenbein verwendet, bei dem er nachweisen kann, dass es aus Altbeständen von vor 1975 stammt.
Nicht weniger kritisch sind weitere häufig im Instrumentenbau verwendete tierische Produkte. Schildpatt und Rio-Palisander beispielsweise werden durch das Abkommen ebenfalls geschützt. Ersteres, das aus den Hornschuppen des Rückenschilds von Meeresschildkröten gewonnen wird, ist Bestandteil von (für den Klang unwichtigen) Schmuckelementen vor allem an Streich- und Holzblasinstrumenten. Letzteres, eine Tropenholzart, die nur im atlantischen Regenwald Ostbrasiliens zu finden ist, wird im Instrumentenbau für Streichinstrumente, Gitarren und Flöten verwendet. 1992 wurde es in die höchste CITES-Schutzstufe aufgenommen – Instrumentenbauer dürfen seitdem nur noch Material aus kontrolliertem Anbau verwenden und müssen dessen legalen Einschlag auch beweisen können. Die wenigsten Musiker aber, an deren Instrumenten derartige Materialien verbaut wurden, können deren Herkunft belegen. Deshalb einigten sich die Delegierten in Bangkok darauf, eine Bescheinigung für Musikinstrumente einzuführen (auch Instrumentenpass genannt), aus der hervorgeht, woher die Teile des Instruments stammen und ob sie auf geschützte Arten zurückzuführen sind. Ausgestellt werden sollte dieses Dokument von den jeweiligen nationalen Naturschutzbehörden.
Die Nachricht interessierte im Frühjahr 2013 in Europa nur wenige Experten, in den USA aber stieß sie auf großes Interesse. Denn zur innenpolitischen Kritik, der sich die Regierung Barack Obama ausgesetzt sah, gehörte auch, dass sie sich zu wenig für den Artenschutz einsetzen würde. Weshalb die Vereinigten Staaten ihrerseits vorpreschten, die neue CITES-Resolution in Gesetzeswerk gossen und in einigen Punkten sogar noch verschärften. In Bangkok nämlich hatten sich die amerikanischen Delegierten mit ihren Forderungen nach einem besonderen Schutz des Pottwals nicht durchsetzen können; so sorgten die Naturschützer in ihrem Heimatland nun dafür, dass die Artenschutzliste zumindest national erweitert wurde.

Nach einer Übergangsphase machten die Amerikaner ab dem 1. April 2014 Ernst: Reist seitdem ein Musiker mit einem Instrument ein, verlangen die Beamten des »US Fish and Wildlife Service« an den Flughäfen einen aktuellen CITES-Instrumentenpass. Die Nachweispflicht, dass für den Bau etwa einer Geige und ihres Bogens kein geschütztes Material verwendet wurde, liegt beim Einreisenden – was insbesondere für viele Besitzer historischer Musikinstrumente unlösbare Probleme mit sich bringt. Doch das Argument der Historie allein zieht bei den US-Behörden nicht: »Man kann ja nicht sichergehen, dass das betreffende historische Instrument in den vergangenen 40 Jahren nicht illegal umgebaut worden ist«, erläutert Paul Brazell von der Pressestelle der US-amerikanischen Botschaft in Berlin.
Zu den ersten Musikern, die es mit den verschärften Regelungen zu tun bekamen, gehörten die Münchner Philharmoniker. Für kein einziges ihrer Instrumente lag bei deren Einreise in New York ein Instrumentenpass vor, nur aufgrund intensiver Bemühungen der Carnegie Hall und der deutschen Botschaft konnte das Gastspiel trotzdem stattfinden. Weil klar war, dass es eine derartige Ausnahme kein zweites Mal geben würde, wurde das wenige Wochen später in die USA reisende Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks von den Gastgebern über die Brisanz der neuen Regelungen informiert. Orchestermanager Nikolaus Pont erinnert sich noch genau: »Am 18. April erfuhren wir, dass wir neben den üblichen und sehr aufwendigen Einreiseunterlagen noch zusätzliche Dokumente für die Musikinstrumente bräuchten. Das war mitten in den Osterferien, wir hatten noch zwölf Arbeitstage bis zum Tourneebeginn.« Nur dank des zuständigen Mitarbeiters im Bundesamt für Naturschutz, der in unzähligen Überstunden selbst die Instrumentenpässe schrieb, habe das Gastspiel in der Carnegie Hall gerettet werden können, berichtet Pont.
Vorgewarnt konnten die BR-Symphoniker von Südamerika aus, wo ihre Tournee begann, strittige Instrumente wieder zurück nach Deutschland schicken und in den USA auf andere Geigen und Bögen zurückgreifen. Nur in einem einzigen Fall gab es ein Problem: Ein Cellobogen wurde von den Beamten eingezogen. Er war zwar frei von Materialien, die nach CITES geschützt sind, beinhaltete aber den in den USA zusätzlich verbotenen Pottwalzahn. Von Deutschland aus fordert Nikolaus Pont nun die sachgerechte Rücksendung des Bogens mit einem Wert im fünfstelligen Euro-Bereich: »Natürlich streiten wir uns mit den Amerikanern darum, denn niemandem war im Frühjahr bewusst, dass es diese strenge, noch über CITES hinausgehende Regelung in den USA gibt«, erläutert der Orchestermanager.

Mario Sterz ist jener Mitarbeiter des Bundesamts für Naturschutz, der nach Ostern tagtäglich im Sondereinsatz für die Münchner war. Als stellvertretender Sachgebietsleiter für den Bereich Ein- und Ausfuhr von Erzeugnissen geschützter Arten ist er zuständig für CITES-Genehmigungen, soweit sie für Reisen in Gebiete außerhalb der Europäischen Union notwendig sind. Mittlerweile ist Sterz Experte für Orchesterinstrumente, denn auch die Verantwortlichen der Berliner Philharmoniker und des Gewandhausorchesters wandten sich an den Bonner Beamten: »Die Hilfen dort sind wirklich Gold wert«, freut sich Marco Eckertz. »Uns wurde beispielsweise deutlich gesagt, dass wir Instrumente, an denen Fischbein verarbeitet ist, wegen der nationalen Regelungen niemals durch die Kontrollen bekommen. Die betreffenden Instrumente werden wir also gleich zu Hause lassen.«
Verkompliziert wird Sterz’ Arbeit durch die Tatsache, dass sich die Europäische Union wesentlich länger als die USA Zeit lässt, die Resolution von Bangkok in Gesetzeswerk zu gießen: Ende 2014, so die aktuellen Pläne, wird die EU die geänderte Durchführungsbestimmung veröffentlichen, mit der die neuen Regelungen wie etwa der Instrumentenpass einheitlich in allen 28 Mitgliedsstaaten umgesetzt werden sollen. Erst dann sind Musiker grundsätzlich bei allen Reisen in andere Länder verpflichtet, die Herkunft der Materialien ihres Instruments zu belegen. »Die Musikinstrumentenbescheinigung ist das CITES-Dokument für den Endverbraucher und somit das letzte Glied in der Kette«, erklärt Sterz. Das Dokument werde nicht an das Instrument, sondern an die Person gebunden sein, in deren Besitz sich das Instrument befindet. »Es kann nicht übertragen werden, gilt für drei Jahre und kann danach auf Grundlage eines neuen Antrags verlängert werden. Mit dieser Bescheinigung kann jeder Musiker unkompliziert in alle 177 CITES-Staaten einreisen«, erläutert Mario Sterz.
Doch schon vor ihrer Einführung wird Kritik an der neuen Regelung laut. Denn praktisch bedeutet die personengebundene und zeitlich beschränkte Bescheinigung, dass das betreffende Instrument bei jedem Wechsel des Besitzers, auf jeden Fall aber alle drei Jahre umfassend neu geprüft werden muss – für die Fachleute ein bürokratischer Aufwand ohnegleichen. Als Alternative schlagen sie daher eine Variante ähnlich der Zulassung für Kraftfahrzeuge mit Kfz-Brief und Zulassungsschein vor: Die CITES-Bescheinigung solle so zeitlich unbefristet ausgestellt und jeder Besitzerwechsel und jede Veränderung am Instrument ins Dokument eingetragen werden. »Preislich sind die meisten Instrumente unserer Musiker durchaus mit guten Kraftfahrzeugen vergleichbar, und was dort unbürokratisch jahrzehntelange Praxis ist, könnte problemlos auch in unserem Metier eingeführt werden«, wirbt etwa Gewandhaus-Orchestermanager Eckertz für dieses Modell.
Dem Leipziger schließen sich auch Instrumentenbauer an. Der Erlanger Josef Peter Gabriel ist Bogenmachermeister und in Angelegenheiten der Musikinstrumentenbescheinigung Innungssprecher. Wie die meisten Berufskollegen verzichtet Gabriel auf Elefanten-Elfenbein, er verwendet das Elfenbein des ausgestorbenen und damit nicht geschützten Mammuts. Den Schutz gefährdeter Arten begrüßt Gabriel ausdrücklich, den Instrumentenpass in der von der EU geplanten Form sieht er dennoch kritisch. Sein Vorbehalt: »Aufwand und Kosten sind unverhältnismäßig. Die Bescheinigung für einen Geigenbogen mit einem Verkaufswert von 300 Euro kostet bis zu 50 Euro – bei jedem Wiederverkauf müsste diese Bescheinigung jeweils neu ausgestellt werden.«

Eine eigenartige Debatte ist es, die in den vergangenen Monaten vor allem dort geführt wurde, wo Orchester eine Reise in die Vereinigten Staaten planten. Denn einerseits finden sich in der Presse Berichte, die die verschärften amerikanischen Einfuhrbeschränkungen als »Schikane« beschreiben. So staunte etwa die Süddeutsche Zeitung nach dem Gastspiel der Berliner Philharmoniker in der Carnegie Hall darüber, dass der Erfolg so bravourös war, obwohl die Gäste aus Deutschland nur mit zweit- oder gar drittklassigen Instrumenten in die USA hätten einreisen dürfen. Andererseits wollen diejenigen, die davon betroffen sind, diesen Zungenschlag so nicht stehen lassen. »Gott behüte! Das ist wirklich keine Schikane«, erklärt beispielsweise Marco Eckertz seinen Kollegen im Gewandhaus immer wieder, wenn die Rede auf CITES kommt. »Man muss der Musikwelt hier einen deutlichen Vorwurf machen. Ich bin bisher davon ausgegangen, in einem Geschäft zu arbeiten, bei dem ich kein schlechtes Gewissen haben muss. Ein Geigenbogen braucht kein Elfenbein, und ich möchte nicht, dass Elefanten für Musikinstrumente sterben.«
In vielen Diskussionen gerade unter Musikern wird jedoch der Artenschutz in einen Topf geworfen mit unzähligen Regelungen, die nach den Anschlägen vom 11. September 2001 die Einreise in die Vereinigten Staaten verschärften. So mussten die Mitglieder des Gewandhausorchesters beispielsweise für die aktuelle Tournee Arbeitsvisa beantragen und sich einer äußerst bürokratischen Prozedur unterziehen, zu der auch gehörte, dass alle Reisenden persönlich zum Interview in der US-Botschaft zu erscheinen hatten. Die Beantwortung der dort gestellten Fragen habe jeweils nur eine halbe Minute gedauert, berichtet Eckertz: »Dafür ist der übliche schriftliche Fragebogen für die Einreise mittlerweile derart umfangreich, dass man gut 80 Minuten braucht, um ihn auszufüllen – pro Musiker!«

Schon legendär ist der Bericht über einen vom amerikanischen Zoll zerstörten Steinway-Flügel. Der polnische Pianist Krystian Zimerman verlor kurz nach dem 11. September 2001 sein Lieblingsinstrument, das er auf sich abgestimmt hatte und zu allen seinen Konzerten transportieren ließ. Weil Beamte der Einreisebehörden befanden, dass der Leim seltsam rieche, machten sie aus dem teuren Instrument Kleinholz – was Zimermans Verhältnis zu den USA nachhaltig beeinträchtigte.
Fairerweise muss man derartigen Horrormeldungen jedoch hinzufügen, dass auch deutsche und europäische Beamte nicht zimperlich im Umgang mit Musikern und deren Instrumenten sind. Weil der Taktstock des Dirigenten Peter Ruzicka auf einem innerdeutschen Flug von Hamburg nach München nicht im Handgepäck akzeptiert wurde, verarbeiteten ihn Sicherheitsbeamte zu Sägemehl. Mehrfach wurde auch die Einfuhr besonders wertvoller Geigen unterbunden: Im Oktober 2012 etwa nahm der Zoll am Frankfurter Flughafen der damaligen Konzertmeisterin der Staatskapelle Dresden, Yuki Manuela Janke, eine Stradivari im Wert von sechs Millionen Euro ab. Janke hatte das Instrument zuvor von einer Stiftung als Leihgabe erhalten – und sollte nun bei der Einfuhr nach Deutschland 19 Prozent Einfuhrumsatzsteuer zahlen.
Letzteres ist seit einem offenen Brief zahlreicher namhafter Musiker und einem Machtwort von Finanzminister Wolfgang Schäuble zwar vom Tisch, aber spätestens mit der Umsetzung der noch im Dezember 2014 erwarteten EU-Richtlinie werden auch an deutschen Flughäfen Kontrollen zum Artenschutz fällig. Und hier ist Ärger vorprogrammiert. Denn anders als in den Vereinigten Staaten, wo die spezialisierten Beamten des Fish and Wildlife Service kontrollieren, wird CITES in der EU eine zusätzliche Aufgabe des Zolls. »Dass gewöhnliche Zöllner mit einem einzigen Blick etwa Elefanten-Elfenbein von Mammut-Elfenbein unterscheiden können, wage ich zu bezweifeln«, kommentiert Marco Eckertz.

Angesichts der gewaltigen Bürokratie bei der Einreise in die USA, zu der nun auch noch die Artenschutz-Restriktionen kommen, stellen nicht wenige Musiker den Sinn von Amerikareisen grundsätzlich infrage. Auch wenn BR-Orchestermanager Nikolaus Pont den Verzicht auf diese Reisen kulturpolitisch für das falsche Signal hält, so habe er dennoch Verständnis für derlei Überlegungen: »Hier findet derzeit eine Abwägung statt. Denn es ist kein Geheimnis, dass Reisen in die Vereinigten Staaten im Gegensatz zu Reisen nach Asien meist keinen Gewinn bringen, sondern ein Zuschussgeschäft sind.«
In Leipzig, wo zur Finanzierung derartiger Tourneen mit den »American Friends of the Leipzig Gewandhaus Orchestra« extra ein Förderverein nach US-Recht ins Leben gerufen wurde, geht man allerdings nicht so weit, auf Amerikagastspiele künftig ganz verzichten zu wollen: »Der immense Aufwand für die Instrumentenpässe ist ja nicht bei jeder USA-Tournee aufs Neue notwendig. Zudem haben wir nun in den zurückliegenden Monaten Erfahrungen gesammelt, die uns die zukünftige Arbeit wesentlich erleichtern«, ist sich Marco Eckertz sicher.

Hagen Kunze