Editorial

»Fremdenfeindlichkeit zeugt nur von eigener Schwäche.«

Dieses Wort ist heute so aktuell wie 1992, als Bundespräsident Richard von Weizsäcker es in seiner Weihnachtsansprache prägte. Es ist der passende Kommentar zu den von Xenophobie angetriebenen Kundgebungen, die seit Herbst vergangenen Jahres die Montagsdemonstrationen von 1989 diskreditieren. Und es ist der passende Begleittext zum 1000-Jahr-Jubiläum, das Leipzig dieser Tage feiert: Die Stadt ist groß und stark geworden, weil sie die Angst vor dem Fremden, dem Unbekannten, dem Andersartigen immer wieder zu überwinden vermochte.

Womit zugleich gesagt ist: Natürlich gab und gibt es diese Angst auch in dieser Stadt. Wir präsentieren in diesem Heft umso nachdrücklicher das weltoffene, aufgeklärte, tolerante Leipzig. Die Stadt, in der dieser Tage der stadtbildprägende Neubau einer katholischen Kirche geweiht wird. Die Stadt, in der hoffentlich noch dieses Jahr ein ebenfalls stadtbildprägendes Universitätsgebäude eingeweiht wird, das in spannender Weise akademisches und geistliches Leben vereint (oder, wo nötig, nebeneinander stellt). Die Stadt schließlich, in deren Gewandhaus wir das Interview mit dem Dresden-Meißner Bischof Heiner Koch führten.
Es gab mehrere gute Gründe für das Gespräch mit dem katholischen Bischof, die allesamt in diesem Heft genannt sind. Nur einer ist an dieser Stelle hinzuzufügen: Heiner Koch ist seit fünf Jahren Beauftragter der Deutschen Bischofskonferenz für die Auslandsseelsorge. Mit ihm am ersten Montag dieses Jahres in Leipzig zu sprechen, während sich zu gleicher Zeit in Dresden für eine der oben bereits charakterisierten Kundgebungen gerüstet wurde – wir kamen nicht umhin, an die krude Straßenbewegung einige der kostbaren Gesprächsminuten zu verlieren.

Heiner Koch kommt aus Köln, wo er zuletzt Weihbischof an der Seite von Kardinal Joachim Meisner war. Selbstverständlich erinnerten wir uns an dessen unseliges Wort, geäußert beim Treffen einer katholischen Gemeinschaft im Januar 2014: »Ich sage immer, eine Familie von euch ersetzt mir drei muslimische Familien.« Koch für Meisners brandstiftendes Bekenntnis haftbar machen, das wollten wir indes nicht. So äußerten wir nur am Rande des Gesprächs unser Bedauern, dass keine offizielle Stimme der katholischen Kirche sich je von Meisners Äußerung distanziert hat.

Die Stadt Meißen lädt dieses Jahr erstmals ein zu einem Treffen aller Menschen, die den Familiennamen Meißner, Meissner oder Meisner tragen. Ob Joachim Meisner dabei sein wird? Wichtiger ist uns die Frage, wie es den beiden Städten Meißen und Merseburg (und ihrer Musik) ergeht, schließlich könnte Leipzig ohne deren Existenz heute kein 1000-Jahr-Jubiläum feiern. Eine Erkenntnis unserer Titelstory: In beiden Städten nimmt die Dom-Musik einen wichtigen Platz ein und wird das Musikleben wesentlich von der Kirchenmusik getragen.

Möglich, dass es in Leipzig in 1000 Jahren ähnlich – oder wieder ganz anders ist, dass dann in den Leipziger Moscheen eine moslemisch geprägte geistliche Musik erklingt. Aufregend und reizvoll, sich das vorzustellen. Leipzig sollte angstfrei, aufgeschlossen und aufnahmebereit ins neue Jahrtausend gehen.

Claudius Böhm