BRAHMS GEHT DER KNOPF AUF
Brahms schwang selbst den Taktstock, als sein Stück für Geige (und Joachim) am Neujahrstag 1879 im Gewandhaus seine Uraufführung erlebte. Besagter Joseph Joachim – der legendäre Geiger, langjährige Freund und Widmungsträger des Werks – übernahm den Solopart des berüchtigten Konzerts gegen die Violine. Wacker rang er – so wird berichtet – mit der »Principalstimme«, die öfters Mühe hat, sich dem reich ausgestatteten, dicht belaubten und verwachsenen Orchester gegenüber zu behaupten, und überdies technisch so schwierig und heikelig geartet ist, daß selbst Joachim, der gestählte und kampfgewohnte Ringer, ihrer nur mit ersichtlicher Anstrengung Herr wurde. Brahms wiederum hielten gelöste Hosenträger der versehentlich anbehaltenen Straßenbeinkleider in Schach. Das Publikum war begeistert.
BRUCKNER MACHT KEINEN KNOPF DRAN
Zur selben Zeit tüftelte Bruckner gerade an der 2. Fassung seiner 4. Sinfonie (1878/1880) und ergänzte das berühmte Jagd-Scherzo. Das 1874 entstandene Werk erreichte damit noch keinesfalls einen Endzustand. Auch im Umfeld der überraschend erfolgreichen Wiener Uraufführung und bis ins Jahr 1889 revidierte Bruckner unermüdlich. Nur eines stellte der Komponist zu keinem Zeitpunkt in Frage: die Bezeichnung als »Romantische«, die er selbst seiner Sinfonie verliehenhatte.
VERKNÜPFT UND ZUGEKNÖPFT
Musik der beiden Wahl-Wiener in einem Konzert? Damals unvorstellbar. Nur in Leipzig scherte man sich wenig um die Lagerkämpfe zwischen Brahms- und Bruckner-Anhängern. Arthur Nikisch kombinierte die Vier ernsten Gesänge des einen mit dem Te Deum des andern oder stellte Bruckners Dritter die 4. Sinfonie von Brahms im Konzert gegenüber. In Wien hingegen fand man die beiden allenfalls gemeinsam im »Roten Igel«, wo Bruckner bei »Knödeln und G’selchtem« feststellte: sehn’s Herr Doktor, dös is der Punkt, wo mir uns verstehn. Ansonsten herrschte zwischen den beiden einvernehmliches Unverständnis. Brahms gestand freimütig: Lieber Bruckner, ich versteh Ihre Symphonie nicht!, worauf Bruckner erwiderte: Akkurat so geht’s mir auch mit Ihren Symphonien.